Montag, 25. November 2013

Nénette et Boni von Claire Denis



Das Filmmuseum zeigte anlässlich seiner derzeitigen Marseille-Schau den Film „Nénette et Boni“ von Claire Denis. Wenn man sich ein wenig mit der Regisseurin befasst hat, dann erkennt man sofort die oberflächlichen Merkmale ihres Kinos. Die Zusammenarbeit mit Agnès Godard, den Tindersticks oder ihren Lieblingsdarstellern Grégoire Colin (hier in seiner vielleicht definitiven Rolle bei Denis, jugendlich, naiv, bedrohlich, unschuldig, verloren, liebevoll, gewalttätig, verträumt und damit alles, was den Film selbst auszeichnet) und Alex Descas. Den Schnitt-und der ist für Denis ja absolut entscheidend-übernimmt hier der Truffaut-Garrel-Pialat Cutter Yann Dedet und er passt sich gleichzeitig dem Kino von Denis an als es auch auf seine eigene Spitze zu treiben. Denn in dieser Geschichte eines Geschwisterpaares, das über die Schwangerschaft der Schwester wieder zusammenfindet ohne sich jemals wirklich zu finden, verfließen nicht nur die Grenzen zwischen Realität und Traum, sondern auch zwischen Zukunft und Vergangenheit, filmischen Happy End und grausamen Morden und somit Film und Zuseher. Denis schreibt den Film als eine dauernde Fluchtbewegung. Es ist als würde „Nénette et Boni“ vor sich selbst fliehen. Assoziativ dienen Farben, Formen und Töne als Übergänge, es ist wie ein dauernder Matchcut der Gefühle, ein beständiger Regen aus Eindrücken, der manchmal gar nicht zu verarbeiten ist. Ist eine rote Farbe im Bild zu sehen wird sie im nächsten Bild wieder auftauchen, erregtes Stöhnen geht über in eine Kaffeemaschine und bis zur schmerzhaften Eindeutigkeit wird die Parallele zwischen Teigbacken und Sex hervorgehoben. Dabei betont die Regisseurin durchgehend die Sinne. Es wird gegessen, es wird gerochen, es wird berührt. In einer erdrückenden Schnittfolge ist eine Nahaufnahme des jungen Bruders zu sehen, der in seinem Bett stark atmend seine Schwester beobachtet. Beim Gegenschuss auf die Schwester hört man deren Atmen nicht. Es ist als würde sie ersticken und man erstickt mit ihr. 


Fast rotzig scheint der Film gedreht worden zu sein, rebellisch und assoziativ und nicht umsonst wurde häufig der Vergleich mit Wong Kar-Wais „Chungking Express“ bemüht. Von der Farbgebung bis zur ständigen Wiederholung eines musikalischen Themas greifen sowohl Denis als auch Kar-Wai auf ein ähnliches Repertoire zurück.  Auch teilen die beiden Filme jene Sinnlichkeit und Poesie, die sich nie in Kitsch verwandelt, sondern immer auf ihr eigenes Ablaufdatum zu schauen scheint.  Doch Denis ist auch eine Geschichtenerzählerin und am Ende kehrt sich dann doch zu einer recht klassischen Struktur zurück, die in der vollkommenen Nicht-Unterscheidbarkeit zwischen Traum und Wirklichkeit kulminiert, ein etwas enttäuschender Ausweg aus einem ansonsten absolut sehenswerten Stück Film. Sinnlichkeit und tatsächliches Glück manifestiert sich immer in Sekunden auf der Leinwand. Betörende Musik setzt ein und erotische Fantasien von der lokalen Bäckerin (Valeria Bruni-Tedeschi) tanzen vor den Augen des voyeuristischen Betrachters. Es ist ein Ruhen auf der Frau, das nur durch die tiefen blauen Augen von ihrem Partner und Mitarbeiter Vincent Gallo gehalten wird. In einer Sequenz wird die Fluchtbewegung, die auch diesem Paar zugrunde liegt mehr als deutlich. Der Bruder steht verlassen und traurig hinter einem großen Fenster, um ihn bewegen sich bunte Lichter. Die Musik setzt ein und ein trautes Familienbild der Bäckerin und ihres Partners in einem innigen Tanz drückt sich mit rosa Farben in den Fokus. Dabei ruht die Kamera fast nie auf dem Geschehen, sondern immer auf den Körpern. Totalen werden schnell unterbrochen für das essentielle im Kino von Denis: Dem Körper. Dann sieht man die Bäckerin in einer Parfümerie und plötzlich taucht sie neben dem Bruder auf. Sie geht mit ihm in ein Kaffee und er vermag kaum zu sprechen. Ob die Fantasie hier zur Realität wurde oder die Realität für einen Moment völlig verlorenging, ist kaum von Relevanz, denn Denis kümmert sich nicht nur in „Nénette et Boni“ weniger um äußere Handlungen, denn um innere Vorgänge. Es ist der Rhythmus, den sie mit Yann Dedet gefunden hat, der den Film prägt, ihn immer wieder verliert und schließlich umschließt.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen