Dienstag, 8. Oktober 2013

Das Kinojahr 2013: Und das Bild verliert seine Bewegung?



In den ersten Sekunden von „Medeas“ von Andrea Pallaoro ist alles still. Würde sich die Wasseroberfläche des Badeteichs nicht leicht bewegen und gebe es nicht den kontinuierlichen Sound der Natur, könnte man fast glauben es wäre eine Photographie. Hier wird die Ruhe nur etabliert, um sie mit plötzlichen Stößen und Schnitten zu durchdringen. Manchmal liegt aber auch in der Ruhe eine Bedrohung. Silence kills. In „Stray Dogs“ von Tsai-Ming Liang werden Tableaus aufgefahren. Seine Bilder haben mehr mit Gemälden zu tun, als mit kommerziell dominanten Kino. Bei ihm liegt die Bewegung im Detail: Eine Träne, leichter Wind in den Haaren oder das Auf und Ab des atmenden Körpers im Schlaf. Wenn er Bewegung hat, dann verläuft sie im Kreis, in Schleifen, ohne Ausweg, sodass sie schon fast wieder ein Stillstand ist. Es ist auffällig wie bislang im Kinojahr 2013 die Bilder ihre Bewegung verlieren. Aber nur auf der Oberfläche. 


In „Only God Forgives“ manövriert sich Nicolas Winding Refn durch stillstehende Bilder, die in ihrer gefrorenen Symmetrie auch glatt einem Möbelmagazin entspringen könnten, das in rote Sauce gefallen ist. Bei Abbas Kiarostami und „Like someone in love“, der dieses Jahr regulär in die Kinos kam, wird gezeigt, wie man durch scheinbare Bewegungslosigkeit ein Mehr an Bewegung, eine emotionale Betonung der kleinen Regungen gewinnen kann. Natürlich beherrscht Kiarostami das vor allem in seinen Autofahrten, in denen die zum Teil einzige Bewegung von der Spiegelung auf der Frontscheibe auszugehen scheint. Vor kurzem hatte die Cahiers du Cinéma etwas sorgenvoll den Zeigefinger gehoben, ob das Schauspiel aufgrund dieser modernen Starre und Kühle (insbesondere im europäischen Kino) vom Aussterben bedroht ist. Man würde den Schauspielern zu wenige Freiheiten lassen und die Liebe gegenüber dem Schauspiel würde verschwinden. In der Tat betrachten viele prägende Regisseure des Autorenkinos Schauspieler derzeit, als ein mit Requisiten und Farbgebung gleichwertiges Element, auf ihren Bildern. Die Apathie der Protagonistin in Ozons „Jeune & jolie“ passt da genauso ins Bild wie das innere Absterben praktisch aller Charaktere in Park Chan-Wooks „Stoker“. Aber nur scheinbar, denn Stimmen und Körperlichkeit haben gegenüber dem Drama und der sichtbaren Emotion an Bedeutung gewonnen. Wenn man sich dann „La vie d’Adèle“ von Abdellatif Kechiche ansieht, dann sieht man schauspielerische Bewegung. Ein vibrierender Cocktail aus Bewegung und Emotion. Ist das Bild also doch nicht stehengeblieben, sondern bewegt sich wie in „Fish&Cat“ von Shahram Mokri ohne Unterlass, ein ständiges Treiben und plötzlich stellt sich die Frage, ob nicht durch das Ausbleiben des Schnitts, der in „La vie d’Adèle“ auch an vielen Stellen zu beobachten und bei Mokri in Reinheit durchgezogen wird, eine weitere Form der Bewegungslosigkeit liegt. 


Schnitte scheinen elliptisch zu sein wie bei Refn oder Pallaoro oder eben kaum mehr vorhanden. Die Montage generiert aber in den Köpfen der Zuseher sowas wie Bewegung. Sie greift die Zeit an und bewirkt häufig dieses zeitlose Gefühl im Kino. Plötzlich werden kleine Gesten und ein Flüstern mit großer Kraft bedacht. In „La grande bellezza“ zaubert Sorrentino mit Schnitten und Bilderwelten, um sie von Zeit zu Zeit zu verlangsamen und so die Kontrolle, den Blick von außen, der seinem Protagonisten eigen ist, zu versinnbildlichen. Bei ihm ist es eher das Spiel mit Bewegung und Stillstand, das nicht nur zum Spüren einer Vergangenheit beiträgt, sondern eben auch den Film selbst in eine Art Stillstand versetzt. Es wurde viel geschrieben über Film als Medium der Bewegung und es scheint auch natürlich zu sein, wenn man von tatsächlichem Film spricht, weil dieser ja per se schon im Projektor bewegt wird. Außerdem ging man ja ins Kino, um visuelles Spektakel, um Bewegung zu erleben. Aber in der heutigen Zeit, in der selbst in Cannes Filme fast ausschließlich digital gezeigt werden und der Kinozuseher schon aus einer visuellen Welt in die Dunkelheit des Kinosaals flüchtet, will er vielleicht gar keine Bewegung sehen, sondern Stillstand. Er will atmen können und sich aus dem Bombardement an Eindrücken des Alltags befreien. Dieser Gedanke war in der Filmtheorie schon immer von Relevanz, aber scheint mir jetzt gerade aktueller denn je: Wie schön kann es sein, wenn man Zeit bekommt etwas anzusehen. Etwas wirklich anzusehen. James Benning geht mit Schulklassen ins Museum, um mit ihnen an der Fähigkeit etwas anzusehen, zu arbeiten. Durch Bewegungslosigkeit kann die Aufmerksamkeit auf etwas gelenkt werden, das sich unter der Oberfläche befindet. In den elliptischen Montagen eines Winding Refns oder eines Harmony Korines befindet sich weniger ein Fenster zur Wirklichkeit, als ein Spiegel zur Gesellschaft. Ihre Schnitte entsprechen dem ziellosen Treiben durchs Internet, dem hin und zurück ohne wirklich vorwärts zu kommen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beginnen sich in digitalen Bildern zu überlappen und die Zeit stirbt. Claire Denis hat in „Les Salauds“ einen ähnlich konsequenten Weg gewählt. Sie filtert aus der scheinbaren Zusammenhangslosigkeit Gefühle und Hässlichkeit. 


In „36“ von Nawapol Thamrongrattanarit wird auf eine großartige Weise die Angst dieser Zeit thematisiert. Eine junge Frau macht ein Foto von sich und einem Mann, den sie attraktiv findet. Sie speichert es auf einer Festplatte, die später kaputt geht. Verzweifelt versucht die Frau die Festplatte reparieren zu lassen, weil sich dort die einzige Erinnerung an den Mann befindet. Früher hatte der zu ihr gesagt, dass sie die Augen benutzen solle statt zu fotografieren. Vor kurzem konnte ich im Kunsthistorischen Museum in Wien begutachten wie Menschen Gemälde von Albrecht Dürer fotografierten ohne sie anzusehen. Das zweite Bild hat schon lange gegen das erste Bild gewonnen. Film muss das zweite Bild deshalb angreifen. Vor jede seiner 36 statischen Einstellungen stellt Thamrongrattanarit einen Satz, der das Bild, das laut eigener Aussage Fotografien ähneln soll ähnlich einem Facebook-Kommentar in eine Relation setzt. Das Bild alleine reicht nicht mehr. Viele Regisseure reagieren darauf mit einer Art Nostalgie, erwecken vergangene Bilder und Genres zum Leben wie James Gray in „The Immigrant“, Quentin Tarantino in „Django Unchained“, Arnaud Desplechin in „Jimmy P.“, Derek Cianfrance in „The Place Beyond the Pines“ oder Noah Baumbach mit „Frances Ha“. Es gibt noch einige mehr, aber es bleibt festzuhalten, dass ihr Kino dem Programm großer Theaterhäuser entspricht. Dort kann durchaus das ein oder andere Glanzstück dabei sein und Kino kann dort zurück in eine andere Zeit geführt werden, in der vielleicht manches besser war, aber es verliert seinen Bezug zur Realität und damit auch ungemein an Wichtigkeit und Notwendigkeit.  Es ist die Masturbation eines sterbenden Kinos, die dort betrieben wird. Und auch wenn dieser Satz vielleicht etwas reißerisch daherkommt, so muss man doch festhalten, dass nichts dadurch gewonnen wird für den Zuseher außer ihm dieses ausgelutschte Nostalgie-Gefühl in die Augen zu drücken, auf das man manchmal mehr und manchmal weniger fliegt. Vielleicht bewegt sich dort auch zu viel. Wie in „Gravity“ von Alfonso Cuarón, der 3D zu einem weiteren spektakulären Tiefpunkt führt, weil Technik vielleicht ein Grund ist ins Kino gehen, aber kein Grund sich zu erinnern. Und wenn die Festplatte kaputtgeht, wird nichts mehr davon übrig sein. Ein konsequenter Film könnte da „La jetée“ von Chris Marker sein. Eine apokalyptische Aneinanderreihung von Fotografien, die mit der Zeit machen, was sie wollen, scheint mir prädestinierter für unsere Zeit zu sein als fast alles, was heute produziert wird. 


In „The Zero Theorem“  taucht der Protagonist in virtuelle Welten ein. Gilliam versteht es dabei lediglich unsere Zeit abzubilden, kaum jedoch sie zu durchdringen. Bei ihm ist alles ein wilder Zirkus aus Eindrücken, das Kino von Gilliam liefert keinen Stillstand aus dieser Bewegung, keinen Blick darauf, sondern einen Blick aus seiner Mitte. Wie ein Kriegsfilm inmitten des Krieges scheint mir das ein Film zu sein, den keiner braucht, der aber in einiger Zeit als Portrait einer Generation an Bedeutung gewinnen könnten. Es ist schwer ein Kino über die digitale Zeit zu machen. Große Regisseure hatten früher die Möglichkeit mit Industrie und Kirche Bewegung und ein sakrales Element in ihre Filme zu bringen, das irgendwie dem Wesen des Films völlig entsprach. Aber die Kirche wurde vom Internet abgelöst und damit wurde in vielerlei Hinsicht auch die Bewegung aus dem Leben genommen. Viele Filmemacher verweigern die zum Teil wirklich unästhetischen Blicke auf Mobiltelefone oder Laptops und trotzdem muss die Gegenwart im Film am Leben bleiben, um es nicht zu einem nostalgischen Randmedium werden zu lassen. (Ich spreche von der filmische Erzählung, nicht vom Material.) 


In Ansätzen wie „36“ zeigt sich die extreme Kapazität eines modernen Kinos. Jedenfalls sind es minimale Bewegungen, die den Zuseher in große Geschwindigkeiten versetzen. Die kleinen Gesten und Töne prägen Julia Loktevs „The Loneliest Planet“, die langsamen Entscheidungen beschleunigen Asghar Farhadis „Le passé“ bis man kaum mehr atmen kann. In einem perfiden Twist scheint die Lustlosigkeit an der Bewegung auch die Protagonisten selbst getroffen zu haben. Sie verlassen ihr Auto nicht wie in „Locke“ von Steven Knight und so verweigern die eigene Flucht wie in „Tore tanzt“ von Katrin Gebbe oder „Tom à la ferme“ von Xavier Dolan. Ihr Stehenbleiben ist der Schrei nach mehr Bewegung, ihr Warten drückt die Sehnsucht nach Gefühl aus. Es ist ein Kino, das „Take this Waltz“ von Leonard Cohen hört ohne sich wirklich auf den Tanz einzulassen. Aber für die Charaktere lauert dort eine große Gefahr, die für den Zuseher zur Bewegung wird. Und wenn der Vater in „Medeas“ plötzlich aus dem Teich springt und die Bewegungslosigkeit durchbricht, dann ist das Kino ganz bei sich.

2 Kommentare:

  1. Passt ja zur "Bewegungslosigkeit" Deines letzten Kurzfilms. Die Tanzende im ansonsten ruhenden Garten, das lange Verharren an der roten Ampel, die Szene danach, in der nur Worte "passieren".

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    1. Ja, ich nehme die Welt-insbesondere in meiner Generation-auch so wahr. Wir sitzen und überlegen uns, was wir fühlen und wer wir sind. Da kommt jede Bewegung als ein Schock und es passiert nicht viel. Natürlich mag man das als Zuseher manchmal als langweilig empfinden, aber wenn man an einem Kino interessiert ist, das etwas über die Realität oder Gegenwart aussagt, dann finde ich, dass man diesen Weg gehen musst. Ist aber natürlich eine subjektive Wahrnehmung. Ich fühle mich jedenfalls den Filmemachern nahe, die ähnlich zu denken scheinen. Auch wenn-gerade in Deutschland-dieses "denkende" Kino von der Masse oft verpöhnt wird. Auf der anderen Seite bin ich noch in einem Findungsprozess und kann auch nur das in Film umsetzen, was ich selbst wahrnehme.

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