Dienstag, 24. September 2013

Fish and Cat von Shahram Mokri



Als hätte Marcel Proust seine verlorenen Zeit visualisiert.
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In Venedig gibt es zu jedem Film immer ein offizielles Statement des jeweiligen Regisseurs. Bevor ich mit meinen Gedanken zu „Fish and Cat“ von Shahram Mokri beginne, möchte ich die Worte von Mokri selbst stehen lassen:
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“FISH & CAT is a film about time. It’s about how to make a perspective within time and, thereby, unhinge time. What fascinated me about making this film was the style of its execution: the insistence on a fictional narrative style within the bounds of single shot and the attempt to create fissures in time during that single shot. I chose to tell a true story in this film, a true story which, nevertheless, resembles a nightmare.”


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Bounds of a single shot-eine einzige Einstellung über mehr als zwei Stunden; dabei bewegt sich die Kamera völlig flexibel von oben nach unten, von links nach rechts, sie folgt Personen und lässt sie wieder alleine. Aber die technische Perfektion, die man beispielsweise auch schon bei „Russian Ark“ von  Alexander Sokurow bewunder durfte, erhält noch einen Zusatz, von dem auch der Regisseur in seinem offiziellen Statement spricht: Die Zeit.
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Die Geschichte dreht sich um die mysteriösen Geschehnisse rund um ein Zeltlager an einem verlassenen See. In der Nähe befindet sich ein Restaurant, dessen Besitzer ganz im Stil von „De grønne slagtere“ von Anders Thomas Jensen auf die Idee kommen Menschen zu töten und ihr Fleisch zu Essen zu verarbeiten. Das Zeltlager findet statt, weil eine Universität dort ihren jährlichen Kite-Flieger Event organisiert. Das Bild beginnt am Rande des Restaurants, wandert durch den Wald zum See und von dort immer wieder zurück in den Wald. Was genau passiert ist jedoch eine Frage der Zeit, denn ohne zu schneiden bricht Mokri die Chronologie der Szenen völlig auf, indem er immer wieder Perspektiven wechselt und Szenen wiederholen lässt. So wird zur Gegenwart, was eigentlich vergangen ist und zur Zukunft, was vor 10 Minuten passiert ist. Um das zu verdeutlichen ein Beispiel: Man folgt einer Figur zu den Zelten. Sie beginnt damit ihr Zelt aufzubauen und sieht eine andere Figur. Man folgt der anderen Figur und kommt später aus einer anderen Perspektive zum Zeltlager zurück, um dort die erste Figur wieder zu treffen, wie sie gerade ankommt und ihr Zelt auspackt. Dabei ist der Film bei weitem keine Endlosschleife, er wiederholt nur manche Szenen und betrachtet sie aus neuen Perspektiven. Was also Filme wie „Pulp Fiction“ von Quentin Tarantino, „Before the Devil Knows You’re Dead“ von Sidney Lumet oder auch „Atonement“ von Joe Wright recht intelligent auf Drehbuchebene machen, macht dieser Film in einem fortgehenden Strom und hinterfragt die Weisheit, dass man nicht zweimal im gleichen Wasser des Flusses stehen kann.
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Ein Film über die Zeit, der dem letzten Jahr in Marienbad eine Ebene des Horrors mitgibt, etwas Drohendes liegt im Nebel und im Sounddesign und in einem ständig flackernden Bild, von dem niemand so genau weiß, woher es kommt. Da wo Resnais durch die Zeit schneidet, folgt Mokri mit elephantesquen Verfolgereinstellungen seinen Protagonisten und begleitet sie mit klassischer Musik; in diesen Stimmungsbildern passiert immer etwas mit der Zeit. Er braucht keinen Schnitt, um die Zeit zu manipulieren.  Dennoch geht der Film vorwärts. Die Location erinnert von Zeit zu Zeit an Tarkowskis „Stalker“, wie auch das Unsichtbare, das oft erst spät sichtbar wird. Eine apokalyptische Stimmung entsteht. Wer so viel Wert auf Mise-en-scène legt, betont eben auch jenes Unsichtbare, das Hors-champs und lässt Figuren im Off sterben, ins Off gleiten. Auch narrativ geht es hier nicht darum virtuos alle Stränge zusammenzuführen. Es geht mehr um eine Verunsicherung des Zusehers gegenüber der Realität (des Films).
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Man kann seine Augen nicht von der Leinwand lösen. Dem Kameramann Mahmud Kalari, der auch Bilder für Farhadi und Kiarostami gemacht hat, gebührt natürlich ein ganz besonderer Respekt. Einen Monat haben er und Mokri geprobt und alles Mögliche ausprobiert. Natürlich drängt sich der Verdacht eines unsichtbaren Schnitts auf, ich habe selbst gezweifelt nach dem Film und es gibt sicherlich einige Stellen, an denen man hätte schneiden können. Aber erstens würde das nichts an der Wahrnehmung ändern und zweitens kann man „Fish and Cat“ glauben, weil es ein aufrichtiger Film ist, „a true story which, nevertheless, resembles a nightmare.”. Es gibt genügende Filmemacher und Theoretiker, die fest behaupten, dass die Montage das Wesen des Films ist. Mokri zeigt ihnen, dass sie sich täuschen. Seine Antwort darauf wäre, dass das Wesen des Films die Wahrnehmung des Zuschauers in Kombination mit der Perspektive des Filmemachers ist. Montage ist nur ein Teil der Perspektive des Filmemachers. Sie wegzulassen, bedeutet nichts. 


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„Aber wir stellen uns eben die Zukunft wie einen in einen leeren Raum projizierten Reflex der Gegenwart vor, während sie oft das bereits ganz nahe Ergebnis von Ursachen ist, die uns zum größten Teil entgehen.“ (Proust)

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