Als hätte Marcel Proust seine
verlorenen Zeit visualisiert.
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In Venedig gibt es zu jedem Film immer ein offizielles
Statement des jeweiligen Regisseurs. Bevor ich mit meinen Gedanken zu „Fish and
Cat“ von Shahram Mokri beginne, möchte ich die Worte von Mokri selbst stehen
lassen:
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“FISH &
CAT is a film about time. It’s about how to make a perspective within time and,
thereby, unhinge time. What fascinated me about making this film was the style
of its execution: the insistence on a fictional narrative style within the
bounds of single shot and the attempt to create fissures in time during that
single shot. I chose to tell a true story in this film, a true story which,
nevertheless, resembles a nightmare.”
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Bounds of a single shot-eine einzige Einstellung über mehr
als zwei Stunden; dabei bewegt sich die Kamera völlig flexibel von oben nach
unten, von links nach rechts, sie folgt Personen und lässt sie wieder alleine.
Aber die technische Perfektion, die man beispielsweise auch schon bei „Russian
Ark“ von Alexander Sokurow bewunder
durfte, erhält noch einen Zusatz, von dem auch der Regisseur in seinem
offiziellen Statement spricht: Die Zeit.
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Die Geschichte dreht sich um die mysteriösen Geschehnisse
rund um ein Zeltlager an einem verlassenen See. In der Nähe befindet sich ein Restaurant,
dessen Besitzer ganz im Stil von „De grønne slagtere“ von Anders Thomas Jensen
auf die Idee kommen Menschen zu töten und ihr Fleisch zu Essen zu verarbeiten.
Das Zeltlager findet statt, weil eine Universität dort ihren jährlichen
Kite-Flieger Event organisiert. Das Bild beginnt am Rande des Restaurants,
wandert durch den Wald zum See und von dort immer wieder zurück in den Wald.
Was genau passiert ist jedoch eine Frage der Zeit, denn ohne zu schneiden
bricht Mokri die Chronologie der Szenen völlig auf, indem er immer wieder
Perspektiven wechselt und Szenen wiederholen lässt. So wird zur Gegenwart, was
eigentlich vergangen ist und zur Zukunft, was vor 10 Minuten passiert ist. Um
das zu verdeutlichen ein Beispiel: Man folgt einer Figur zu den Zelten. Sie
beginnt damit ihr Zelt aufzubauen und sieht eine andere Figur. Man folgt der
anderen Figur und kommt später aus einer anderen Perspektive zum Zeltlager
zurück, um dort die erste Figur wieder zu treffen, wie sie gerade ankommt und
ihr Zelt auspackt. Dabei ist der Film bei weitem keine Endlosschleife, er wiederholt
nur manche Szenen und betrachtet sie aus neuen Perspektiven. Was also Filme wie
„Pulp Fiction“ von Quentin Tarantino, „Before the Devil Knows You’re Dead“ von
Sidney Lumet oder auch „Atonement“ von Joe Wright recht intelligent auf Drehbuchebene
machen, macht dieser Film in einem fortgehenden Strom und hinterfragt die
Weisheit, dass man nicht zweimal im gleichen Wasser des Flusses stehen kann.
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Ein Film über die Zeit, der dem letzten Jahr in Marienbad
eine Ebene des Horrors mitgibt, etwas Drohendes liegt im Nebel und im Sounddesign und in einem ständig flackernden Bild, von dem niemand so
genau weiß, woher es kommt. Da wo Resnais durch die Zeit schneidet, folgt Mokri
mit elephantesquen Verfolgereinstellungen seinen Protagonisten und begleitet
sie mit klassischer Musik; in diesen Stimmungsbildern passiert immer etwas mit
der Zeit. Er braucht keinen Schnitt, um die Zeit zu manipulieren. Dennoch geht der Film vorwärts. Die Location
erinnert von Zeit zu Zeit an Tarkowskis „Stalker“, wie auch das Unsichtbare, das oft erst spät sichtbar wird. Eine apokalyptische Stimmung entsteht. Wer so
viel Wert auf Mise-en-scène legt, betont eben auch jenes Unsichtbare, das
Hors-champs und lässt Figuren im Off sterben, ins Off gleiten. Auch narrativ
geht es hier nicht darum virtuos alle Stränge zusammenzuführen. Es geht mehr um
eine Verunsicherung des Zusehers gegenüber der Realität (des Films).
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Man kann seine Augen nicht von der Leinwand lösen. Dem Kameramann
Mahmud Kalari, der auch Bilder für Farhadi und Kiarostami gemacht hat, gebührt
natürlich ein ganz besonderer Respekt. Einen Monat haben er und Mokri geprobt
und alles Mögliche ausprobiert. Natürlich drängt sich der Verdacht eines
unsichtbaren Schnitts auf, ich habe selbst gezweifelt nach dem Film und es gibt
sicherlich einige Stellen, an denen man hätte schneiden können. Aber erstens
würde das nichts an der Wahrnehmung ändern und zweitens kann man „Fish and Cat“
glauben, weil es ein aufrichtiger Film ist, „a true story which, nevertheless,
resembles a nightmare.”. Es gibt genügende Filmemacher und Theoretiker, die
fest behaupten, dass die Montage das Wesen des Films ist. Mokri zeigt ihnen,
dass sie sich täuschen. Seine Antwort darauf wäre, dass das Wesen des Films die
Wahrnehmung des Zuschauers in Kombination mit der Perspektive des Filmemachers
ist. Montage ist nur ein Teil der Perspektive des Filmemachers. Sie
wegzulassen, bedeutet nichts.
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„Aber wir stellen uns eben die Zukunft wie einen in einen
leeren Raum projizierten Reflex der Gegenwart vor, während sie oft das bereits
ganz nahe Ergebnis von Ursachen ist, die uns zum größten Teil entgehen.“
(Proust)
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