In „La belle noiseuse“ von Jacques Rivette wird der Zuseher
oft mit dem Entstehen von Skizzen und Entwürfen des Malers Frenhofer alleine
gelassen. In statischen Einstellungen zeigt Rivette wie die Hand von Frenhofer
mit unterschiedlichen Instrumenten die Entwürfe auf Papier bannt, fast ist es
als würde das entstehende Bild zu einem sprechen; kennt man die „Produktionsgeschichte“,
die Entstehung, hat man oft einen anderen Blick auf das Gesehene, man mag sogar
sagen, dass es an Distanz mangelt. Viel wurde nachgedacht über die Relation von
Malerei zu Film und fast genauso viel auch im Zusammenhang mit eben jener
schönen Querulantin, die Pose für Pose entsteht und sich wieder auflöst;
natürlich drückt Rivette etwas über das Kino aus mit den Mitteln der Malerei,
womöglich über seinen eigenen Schaffensprozess in der Arbeit als Regisseur; der
Blick nach der perfekten Pose ist immer auch ein Blick für das perfekte
Framing, die Beziehung zu seiner Hauptdarstellerinnen im Kino von Rivette eine
einzigartige Erfahrung. Aber aus der heutigen Sicht, in der Zeit, in der das
Material des Films sich beginnt aufzulösen, scheint mir „La belle noiseuse“
noch etwas anderes über das Medium auszusagen, es ist ein Statement für die
genuine Materialität des Kinos.
Das Rattern von Projektoren scheint lange verschwunden, man
kennt es nur noch aus Schulklassen und bei besonderen Anlässen. Heute ist es
eine Meldung wert, wenn bekannt wird, dass Star Wars auf 35 Millimeter gedreht
wird. Wenn ich das Kratzen des Stiftes, das Abbrechen von Kohle, die Falten das
Papier höre, ja fast als Musik wahrnehme in den Entwürfen von Frenhofer, wenn
es eine Technik ist, wenn man mehr betrachten muss als nur die Oberfläche des
Bildes. Ich selbst bin vielleicht aus der ersten Generation von Filmmenschen,
für die das Material tatsächlich keine Rolle mehr zu spielen scheint, viele
junge Filmschaffende, die ich kenne, halten die Idee von „auf Film drehen“ noch
sehr hoch, aber es ist zu einer Ausnahme, vielleicht zu einem Highlight
geworden, der Blick dafür und das Kratzen sind fast verschwunden. Kameraleute
fragen sich gegenseitig: „Hast du schonmal auf Film gedreht?“ In diversen Organisationen
ist es nach wie vor möglich sich explizit mit Film zu beschäftigen, aber das
wirkt oft eher wie der verzweifelt romantische Versuch es mal gemacht zu haben:
Für Cineasten und Kameramänner. Oft sind das dann nur schöne Querulanten, die
nach Film schreien und ihre eigenen Projekte im stillen Kämmerchen damit
umsetzen, noch häufiger ist es experimentelles Kino, das darauf aufmerksam
machen muss, dass es auf Film gedreht wurde. Das muss nicht schlecht sein-ganz
im Gegenteil-aber es zegt den Status von Film im 21. Jahrhundert an.
Projizieren kann das dann sowieso niemand, das Know-How verschwindet mit dem
Material. Wenn aber das Kratzen aus „La belle noiseuse“ verschwindet, fehlt
dann nicht auch der Rhythmus, die Essenz, die Wahrheit, nach der nicht nur
Frenhofer sucht?
Digital zu drehen bedeutet auch handwerkliche Arbeit und Digital
ist auch ein Medium. Aber es lebt von seiner Nicht-Greifbarkeit. Es wirkt wie
eine Malerei ohne Untergrund, als könnte man in die Luft malen. Da wenig
gesprochen wird bei Rivette wäre der Film ohne das Kratzen fast stumm. Aber
meine Generation kennt es fast nicht mehr anders. Die Reduktion der Zuseher
(nennen wir sie Konsumenten) auf das Innere des Films scheint da fast ein
logischer Schritt, gerade weil er vom dominanten Kino auch gefördert wird. Bei
Malerei fragen sich auch Betrachter, die nicht in der Materie zu Hause sind „Wie
hat er/sie das gemacht?“; beim Film taucht diese Frage nur in Verbindung mit
Computern, also bei Spezialeffekten oder spektakulären Kamerafahrten auf. Kaum
jemand, der nicht praktisch im Filmbereich arbeitet, fragt nach der Kamera oder
dem Material. Das Kratzen des Films ist zu einem Kratzen im Film geworden. „La
belle noiseuse“ läuft auf dem Laptop, die Bilder von Cézanne gibt es im
Internet. Es ist vielleicht etwas einfach immer gleich zu bemerken, dass da
etwas verloren gegangen ist, aber man kann es nicht leugnen.
Was kann man tun, wenn man Filme macht und Filme sieht,
Filme liebt? Noch werden größere Produktionen auf Film realisiert, noch drehen
Filmstudenten auf Film; es ist ein Strohhalm, der vom Wind bearbeitet wird, bis
er völlig davongetragen wird. Man kann nur dafür kämpfen, dass weiter auf Film
gedreht und auch weiter Film projiziert wird, man kann es sich und anderen
immer bewusst machen. Man wird verlieren, aber vielleicht wird Film eines Tages
gewinnen. Wenn man einige Minuten alleine mit dem Kratzen von Frenhofers
Malerei und der Schönheit, Bedrohlichkeit, Freiheit, Leere, Offenheit, Wahrheit
konfrontiert wird, was es bewirkt, versteht man vielleicht mehr über das, was
Film sein kann in all seinen Farben.
als filmvorführer, der selbst noch mit dem 35mm-material im kino arbeiten durfte, trauere auch ich diesem verlust nach. doch man darf die vorteile nicht außer acht lassen: weniger arbeit für den vorführer, im umkehrschluß mehr (service)zeit für den kinobesucher. zudem kommen durch die vereinfachte und verbilligte distribution der kinokopien auch die besucher von arthäusern fernab der urbanen premierenkinos in den genuss einiger hervorragender filme, die als 35mm-kopie garnicht geliefert worden wären. es ist ein zweischneidiges schwert.
AntwortenLöschennatürlich verstehe ich die punkte, aber weniger arbeit für den vorführer und mehr service-kapazität sollten meiner meinung nach nicht relevant sein. dieses "weniger arbeit" ist ja gerade das schwierige am digitalen..eigentlich sollte man das doch noch irgendwie spüren, auch körperlich.und service hat kaum etwas mit dem film selbst zu tun. essen hat meiner meinung nach im kino beispielsweise nichts verloren.
AntwortenLöschendagegen stimme ich mit dem zweiten abschnitt absolut überein. das ist sicher ein toller nebeneffekt!