Dienstag, 20. August 2013

Das Gold im deutschen Kino



Im vieldiskutierten „Gold“ von Thomas Arslan treibt sich eine Gruppe deutscher Glücksritter quer durch die amerikanische Wildnis, auf dem Weg nach Dawson, wo das titelgebende Gold auf sie warten soll. Vieldiskutiert ist Arslans Goldgräber-Film, weil er mal wieder eine Debatte über Kunst und Kommerz im deutschen Kino auslöste, weil es Dietrich Brüggemann und anderen vehementen Gegnern des Films auf der Berlinale darum ging, dass es doch nicht sein könne, dass es neben dem dominierenden Dummkopfkino von Til Schweiger, Matthias Schweighofer und Konsorten nur die sogenannte Berliner Schule gibt, die unabsichtlich alles unter sich zu vereinen scheint, was nach Anspruch riecht. Was den Film letztlich so angreifbar macht, ist seine Inkonsequenz. Eine Inkonsequenz, die auch schon beim weichgespülten „Barbara“, Christian Petzolds schlechtestem Film bis heute (er ist nicht ganz schlecht, das könnte Petzold wahrscheinlich nicht) spürbar war.  Und dann liegt das unendliche deutsche Kinoproblem vielleicht nicht an einer aufklaffenden Diskrepanz zwischen Anspruch und Unterhaltung, (man muss ja nur mal nach Frankreich schauen wie fruchtbar ein solcher Boden dennoch sein kann) sondern an der fehlenden Radikalität dessen, was sich Anspruch nennt, aber mehr und mehr zu einem Requisitenkino verkommt und natürlich auch der Diskussion selbst, die sich weniger mit den einzelnen Filmen beschäftig als mit Gesellschaftsanalysen. Dadurch werden die Filme aber nicht besser. 


„Gold“ ist ein Anti-Western. Aber eigentlich ist er es nicht. In erschreckend sauberen Bildern marschiert die Truppe von Stereotypen durch die Landschaft und wenn nicht einmal gesagt werden würde, dass die Charaktere aus Bremen oder Hannover kommen, wäre das völlig egal. Für ein Kino der deutschen Identität schaltet man in diesem Land nach wie vor besser den Fernseher an. Arslan dreht also einen Anti-Western, aber bedient sämtliche Klischees eines amerikanischen Genres von dubiosen Indianern, geldgeilen Wegpassanten, Möchtegern-Anführern und einem grausam unpassenden, amerikanischen Verfolgerduo. Immer, wenn der Film etwas anders macht als ein klassischer Western kündigt er das groß an: Jetzt kommt die Frau als Heldin! Jetzt schneide ich weg, weil ich Thomas Arslan bin und ich immer wegschneide, wenn es interessant wird! Das wäre alles okay, wenn das Gesamtkonstrukt nicht in ein derart ebenmäßiges Filmchen gekleidet wäre, wenn nicht alles immer Erzählung wäre. Statt seine Charaktere zu beobachten, diktiert sie Arslan und gibt ihnen kleine Brocken Psychoanalyse ohne sie zu bearbeiten. Also weder Fisch noch Fleisch. Man merkt dem Film in jeder Sekunde seinen Versuch an verständlich zu bleiben und hölzerne Dramaturgien zu entwickeln. Das beißt sich immens mit dem Streben nach Realismus, der in kühlen und distanzierten Ästhetik von Arslan aufgeht. Das ist die Inkonsequenz. Entweder sollte der Film sexy sein und unterhaltsam, ein dreckiger-spaßiger Western eben mit Stereotypen oder er sollte sich mit anderen Dingen auseinandersetzen, vom Leben erzählen mit Individuen und nicht immer daran erinnern, dass es ja eigentlich ein Western ist, aber eben doch nicht. Das kann nicht interessant sein. Nichts über die Charaktere zu erzählen, ist nur dann wertvoll, wenn es etwas zu erzählen gibt. Außerdem ist das Konzept des Anti-Westerns kein wirklich neues. Kinogänger kennen die dramatische Reduzierung in finalen Shootouts genauso wie ungewöhnliche Ängste und Sorgen der Helden. Es ist ja der Western, der tot ist und nicht der Anti-Western. Aber hat Kelly Reichardt in ihrem „Meek’s Cutoff“ den Zuseher Staub fressen lassen und sich einer sinnlichen Meditation des Genres hingegeben und sich „The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford“ von Andrew Dominik der Studie eine Möchtegern-Westernhelden hingegeben, weiß „Gold“ nichts zu erzählen und zu fühlen. Man merkt dem Film in jeder Sekunde an, dass er Förderung gebraucht hat, um überhaupt realisiert werden zu können. Ohne den Berlinale-Schnitt zu kennen, der 13 Minuten länger ist, merkt man der jetzigen Kinofassung einfach an, dass er nicht bis in die äußeren Extreme geht, die ein solcher Ansatz verlangen würde.


Wichtig ist dann immer das Thema. Danach wird man gefragt…“Deutsche Goldsucher in Amerika. Ah, interessant, gute Idee, schaue ich mir an.“ Wenn aber das Thema auch für sogenanntes Kunstkino ausschlaggebend ist, dass der Film überhaupt gemacht wird, dann stimmt da was nicht. Es ist keine Frage, dass auch Filmemacher wie Arslan oder Petzold von ihren Werken leben müssen und man wohl froh sein muss, dass solche Filmemacher überhaupt noch gefördert werden und dass sie daher eventuell auch inhaltliche Zugeständnisse machen und Inhalt und Verständnis daher unnötig präsente Konstanten in der deutschen Filmwahrnehmung bleiben. Bezeichnend ein Artikel der Deutschen Presseagentur über die kürzlich zu Ende gegangenen Filmfestspiele in Locarno. „Aus dem überzeugenden Angebot des Hauptwettbewerbs, in dem 20 Spiel- und Dokumentarfilme liefen, wählte die Jury immerhin zwei Preise für Leistungen aus, die viele Festivalbesucher fesselten.“, heißt es da und immerzu wird darauf verwiesen wie sehr das Festival bei den Preisen auf Kunstfilme reagierte und wie wenig auf publikumsfreundliche Filme. Ein Festival soll also auch noch damit beginnen sogenannte Unterhaltungsfilme auszuzeichnen, damit noch weniger Produzenten sich an schwieriges, eigenwilliges, forderndes Kino wagen? Was ist eigentlich publikumsfreundlich? Mir ist bewusst, dass Film auch und vielleicht vor allem eine Industrie ist, aber die letzten Festungen, die sich dagegen wehren und die schon immer dafür gesorgt haben, dass sich dieses Medium weiterentwickelt und ein Mittel für künstlerischen Ausdruck ist, können doch nicht auch noch einknicken. Wenn in Locarno „Feuchtgebiete“ ausgezeichnet worden wäre, dann hätte das Festival in einigen Jahren keine Bedeutung mehr, denn es sind eben nicht die mittelmäßigen Blockbuster und zeitgenössischen Literaturverfilmungen, die die Zeit überleben und die auch in vielen Jahren noch Bestand haben werden, sondern die großen Filme. Egal, ob Kunst oder nicht, der Film selbst ist wichtiger als sein Publikum.


Womit wir wieder bei „Gold“ wären. Wenn dieser Film ein schwer-zugänglicher Kunstfilm wäre, dann würde er vieles besser machen. Aber da Arslan ein völlig klischeehaftes, sich am Mainstreamkino orientierendes Drehbuch abliefert, wirken die womöglich absichtlich steifen Dialoge einfach nur steif, die überraschenden Schnitte deplatziert und der immer wieder auftauchende Neil Young&Jim Jarmusch „Dead Man“ Gedächtnis-Score nervtötend. Und dann sind wir beim weichgespülten deutschen Kino von Regisseuren, die sich den Förderlandschaften anpassen müssen statt gegen sie zu rebellieren. Es gibt immer wieder Ausnahmen natürlich, aber es scheint mir schon ein Problem zu sein, wenn Deutschlands beste Regisseure nicht mehr gegen das System kämpfen, damit sie drehen können und dürfen. Nicht alles ist schlecht in „Gold“. Die Stimmung und das Raumgefühl, das Arslan erwecken kann, geben an vielen Stellen ein gutes Bild ab, er ist auch keineswegs zu lang oder ermüdend, die Charaktere wissen trotz ihrer einfachen Struktur zu überzeugen, was auch am guten Casting liegt. Es gibt einige intensive Szenen, aber insgesamt ist das alles so wie ein gut aufgewärmtes Mikrowellenessen nach Mamas Rezept. Besser wäre mal etwas neues, auch wenn es völlig schiefgeht. Wo also liegt das Gold im deutschen Kino? Als Nachwuchsfilmschaffender muss man auch möglichst schnell ums Überleben schwimmen, bleibt da Zeit und vor allem Kraft sich aus dem Fenster zu lehnen? Die Vergangenheit scheint mit einem gewissen zeitlichen Abstand natürlich immer etwas besser gewesen zu sein. Womöglich ist es also so wie im Film selbst. Der Weg zum Gold im deutschen Kino ist hart und beschwerlich und die meisten werden scheitern.  Da wohl in baldiger Zukunft niemand eine gute Straße nach Dawson bauen wird, muss man also entweder dort bleiben, wo man ist, die Wege gehen, die alle gehen oder alles riskieren. Vielleicht interessiert das Gold heute aber nicht mehr, sondern nur wie viel es wert ist.


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