„Le cinéma est une belle île“ hat Leos Carax schon zu
mehreren Anlässen gesagt. Dabei geht es ihm zum einen um seinen Lebensentwurf,
der sich komplett dem Kino verschrieben hat, zum anderen geht es ihm aber auch
um die Art und Weise wie sich im Kino alles bedingt, wie sich ein
Paralleluniversum in der Sprache des Kinos erschaffen lässt, wie das Zitat im
Kino eine essentielle Rolle spielt. Für ihn sei es nicht anderes, als die
Buchstaben des Alphabets zu benutzen, wenn er sich bei anderen Filmen bedient,
hat folgerichtig auch Lars von Trier einmal bekundet. Alles ist Rekreation. Hollywood
selbst ist seit dem klassischen Studiosystem einer einzigen Rekreation
unterzogen. Es geht um die Rekreation dessen, was auf dem Markt funktioniert
hat. Alles andere, so die etwas arrogante (aber womöglich berechtigte) Position
von Hollywood, orientiert sich dann an diesem Markt. Entweder macht man
dasselbe oder man macht bewusst etwas anderes und widerspricht damit den
Erwartungen. Aber inzwischen hat sich die Sprache des Kinos durchaus soweit
entwickelt, dass auch dieses „andere“ hunderten Kategorisierungen unterliegt
und vor allem auch ganz eigenen Gesetzen gehorcht. Am leichtesten sind diese
natürlich anhand diverser Autoren nachzuvollziehen. Dieser oder jener Regel
folgt das Kino von Carax, dieser oder jene Konstante gibt es bei den
Dardenne-Brüdern und so weiter. Allerdings unterliegt meiner Meinung nach die
Negation eines Genres immer auch seiner eigenen Genre-Ästhetik. Versuche wie „Sadomodernism“
oder nationale Kinowellen, die von Journalisten aufgerufen werden,
unterstreichen diese Tendenz. Der pauschale Satz „Man muss die Regeln erst
kennen bevor man sie bricht“ ist hinfällig. Schließlich gehorcht das Brechen
der Regeln, auch wenn es eine Reaktion auf ein dominierendes Kino darstellen
muss, einem eigenen Reglement. Autoren,
die sich eben zurücknehmen, die auslassen, die nicht-zeigen, die
nicht-schneiden. Man muss nur auf der Insel leben, um sich mit ihnen
auseinanderzusetzen.
"Holy Motors" von Leos Carax |
Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten wie man sich auf
dieser Kino-Insel verhält. Es gibt Regisseure wie Quentin Tarantino, die sind
hunderte Kilometer durch die tiefsten und entferntesten Wälder der Insel
gelaufen, haben extrem vieles auf der Insel gesehen und bauen ihre Filme, um
die Dinge, die sie auf der Insel gesehen haben. In gewisser Weiße ist auch
Carax so ein Regisseur und eben das genannte Hollywoodsystem. Das ganze Starsystem
beruht ja nicht zuletzt darauf, dass eine Schauspielerpersönlichkeit geschaffen
wird, die sich durch unterschiedliche Filme transportiert, also das Gegenteil
der eigentlichen Essenz (ist sie das?) des Schauspiels nämlich einer kompletten
Verwandlung und eines Verschwindens im Charakter. Cary Grant war immer Cary
Grant. In jedem Film. Ein anderes Beispiel wäre die derzeit in den deutschen
Kinos laufende Weltuntergangs-Komödie „This is the end“ von Seth Rogen und Evan
Goldberg. Hier besteht die Rekreation darin, dass der Film auf andere Filme in
einer Art und Weise Bezug nimmt, die den Zuseher zwingend auf diese Insel
einlädt. In anderen Worten: Rogen und seine Wandertruppe an amerikanischen
Comedy-Größen von Michael Cera, Jonah Hill bis zu Danny McBride spielt nicht
nur ständig in ähnlichen Konstellationen zusammen, sondern spielt auch damit,
dass sie ständig in ähnlichen Konstellationen zusammenspielen. Das Starsystem
beginnt reflexiv zu werden, wenn Rogen einen Film schreibt und inszeniert, in
dem er selbst am Flughafen auf sein markantes Lachen angesprochen wird. Ein
wirkliches Verständnis setzt der Film zwar nicht voraus, aber der Genuss
steigert sich erheblich, wenn man sich in der Welt von „Superbad“ und „Pineapple
Express“ auskennt oder wieder anders: Wenn man selbst schon auf der Insel war,
sie kennt oder bestenfalls auf ihr lebt. Denn dann ähnelt die Erzählweise nicht
nur bei Prequels und Sequels und Spin-Offs jenem einer TV-Serie, sondern allgemeiner
werden Persönlichkeiten und Running-Gags aufgebaut, die nur für ein Publikum funktionieren,
das sich in der Welt von Seth Rogen auskennt. Die hierarchischen Strukturen,
denen die moderne amerikanische Komödie unterliegt, also dass diese Welten
immer mit einer Person (Judd Apatow, Ben Stiller, Adam Sandler etc) in
Verbindung steht, lässt zwei Rückschlüsse neben der auffallenden Serialität zu:
"This is the end" von Seth Rogen und Evan Goldberg |
1.
Es ist Hollywood.
Das klingt vielleicht banal,
aber der hierarchische, marktorientierte Personenkult wird nach wie vor verkauft
und nach wie vor ist er wichtiger, als alles andere in diesem System.
2.
Es unterliegt einer ähnlichen Logik wie eine
Erbmonarchie.
Schließlich ist der König der aktuellen Comedy immer ein
Nebendarsteller bei seinem Vorgänger gewesen. Ganze Zirkel kreisen um die
unterschiedlichen Hauptfiguren. Die Gruppe um Ben Stiller wird und wurde lange
Zeit als „Frat Pack“ bezeichnet. Dazu zählten neben Stiller auch Owen Wilson,
Vince Vaughn, Luke Wilson und eben auch Will Ferrell. Aber natürlich-auch wenn
man immer noch vom „Frat Pack“ sprechen mag-hat sich die Konstellation extrem
geändert mit der Machtübernahme durch Ferrell und Apatow. In deren Regentschaft
hatte Setz Rogen eine Nebenrolle. Und so weiter.
"Zoolander" von Ben Stiller |
"Our beloved month of August" von Miguel Gomes |
"Close-Up" von Abbas Kiarostami |
"Il giorno della prima di Close-Up" von Nanni Moretti |
Wenn das Kino nämlich eine Insel
ist, deren Attraktivität immer weiter sinkt-und damit meine ich nicht die
Attraktivität für kurzfristige Besucher, sondern die Attraktivität darauf zu
leben auch und im Besonderen für angehende Filmemacher-dann muss man sich auf
die Insel stellen und so laut schreien wie es geht. Der gigantische Haufen
Dreck, der pro Jahr produziert wird und der immer weiter anzuwachsen scheint,
hat nämlich auch damit zu tun, dass Rekreation für viele Filmemacher zu
bedeuten scheint sich an ein oder zwei Vorbildern zu orientieren, irgendeine
Geschichte zu finden und diese dann möglichst publikumsfreundlich umzusetzen
(oder so, dass man selbst gut da steht.). Dieses Kino ist es aber nicht wert.
Man muss an die besonderen Orte auf dem Boot oder auf der Insel gehen, um
wirklich weiterzukommen. Diese Insel ist noch nicht völlig erschöpft und wenn
Carax von einem gigantischen Friedhof spricht, der sich dort befindet, dann
sollte man gleichzeitig über den Friedhof gehen und sehen, was sich dahinter
befindet. Gewisse Dinge werden auf dieser Insel von den falschen Menschen
bestimmt. Wie kann es beispielsweise sein, dass es in vielen deutschen Großstädten
keine Möglichkeiten gibt Filme im Originalton zu sehen, wie kann es sein, dass
international anerkannte Filmemacher oft gar keinen oder einen unheimlich
verspäteten Kinostart bekommen, wie kann es sein, dass sich diese riesige
Diskrepanz auftut zwischen Festivalmarkt und Kinomarkt, wie kann es sein, dass
Autorenfilm kritisiert wird, wie kann es sein, dass Kinoliteratur im Internet
und Zeitschriften den großen Filmen hinterherrennt statt auf die kleinen
aufmerksam zu machen, wie kann es sein, dass es weit mehr Fotos von jungen,
schönen Regisseuren und stylishen Kameramännern auf Facebook gibt, als Filme,
wie kann es sein, dass man nach 120 Jahren Filmgeschichte noch immer Inhalten
und Themen hinterherrennt statt Film endlich ernsthafter zu behandeln?
Abbas Kiarostami |
Bitte macht keine Filme und
schreibt nicht über Filme, wenn ihr nicht auf der Insel leben wollt. Ich habe
schon jetzt (und ich bin jung) zu viele von euch gesehen, die diese Insel zu
einem einzigen Friedhof machen.
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