Mit der ersten Einstellung ist man mitten in der Natur
gefangen, die Soundkulisse erdrückt einen von der ersten Sekunde in „Stellet
Licht“ von Carlos Reygadas. Der Film beginnt mit einem intensiven Blick auf den
Sonnenaufgang und endet mit dem Sonnenuntergang. Doch fragt man sich am Anfang des Films noch, wer
sich hinter unserem Blick befinden mag, wem diese Aussicht in die aufgehende
Sonne gehört, so bleibt am Ende nur der Horizont, der sich hinter den tausenden
Geräuschen von Grillen, Gräsern, Donnern und Wind befindet und trotz seiner allmählichen
Verdunkelung, so etwas wie Hoffnung vermittelt.
Natur und Kreislauf sind zwei Berührungspunkte von Reygadas
in „Stellet Licht“. Über sie vermittelt er wahre Gefühle in einer einfachen
melodramatischen Situation eines Mannes, der zwei Frauen zugleich liebt. Beide
Frauen wissen voneinander und mit einer ist der Farmer Johan verheiratet und
hat viele Kinder. Hier wird kein Betrug und keine menschliche Boshaftigkeit
inszeniert sondern schlicht das Leid von einer Liebe zu viel. Die Charaktere
scheinen sich jederzeit ihrer Schwäche bewusst. Den Effekt des Sakralen erhöht
Reygadas noch, indem er seine Handlung in einer mexikanischen Mennonitengesellschaft
ansiedelt. In einer Welt, in der jeder Schritt bedacht ist, jede Handlung
reflektiert wird, ist das Leid über das eigene Versagen um ein vielfaches
größer. Die Menschen sind Teil der Natur und sie sind ihr ausgeliefert. Gefühle
sind größer als der Verstand und langsam beginnen die Charaktere daran zu
zerbrechen. Die Natur dringt förmlich durch die Menschen hindurch, die ihr
völlig machtlos ausgeliefert sind. Immer wieder zeigt Reygadas einen völlig
unerwarteten Gegenschuss. Befindet man sich gerade noch im Haus mit Blick auf
das Fenster, blickt man in der nächsten Einstellung von außen auf das ganze
Haus und vermag die Handlung hinter den dunkeln Scheiben nur mehr zu erahnen.
Der Schweiß oder Regen tropft den Figuren von ihren Gesichtern, sie können sich
nicht dagegen wehren und müssen in ihrer Natur leben. So ist es auch später als
Johan im strömenden Regen nach seiner Frau suchen muss. Johan scheint nicht
aktiv in seine Handlungen zu treten. Wenn er zu seiner Geliebten fährt, dann
geschieht das einfach. Dadurch, dass nie gezeigt wird wie es zu einer
Entscheidung kommt, sondern immer erst in die eigentliche Handlung geschnitten
wird, scheinen die Figuren Teil einer größeren Welt zu sein, in der sie nur im
Rahmen gewisser natürlicher Triebe agieren können. Reygadas fängt Liebe als ein
Gefühl ein und nicht, wie so oft in Filmen, als Handlung. So denkt Johan gerade
noch nach und versucht sich klar zu werden, was er machen soll, bevor er im
nächsten Moment im Auto sitzt, um seine Geliebte zu treffen. Die Treffen selbst
reduziert Reygadas auf die Essenz. Ein langer und echter Kuss auf einem
windigen Hügel oder ein vertrautes Ausziehen in einem kleinen Zimmer. Leid visualisiert
der Film in klaren Nahaufnahmen zweifelnder Gesichter. Und in jener Stille, in
der später so viel Hoffnung liegen soll, auch wenn das Licht im Sonnenuntergang
erlischt.
Durch seine ruhigen, symbolträchtigen Bilder wirkt der Film
selbst teilweise wie eine biblische Erzählung. Da werden die Kinder in ihrer
völligen Unschuld in einem Teich gewaschen und es wird über das Leben, die Ehe
und den Tod gesprochen. Aber nicht viel, denn wie sein Vorbild vermittelt Reygadas genuin durch Bilderwelten und Geräuschkulissen.
Dabei teilt er allerdings nicht das Interesse für das Wasser mit seinem
russischen Vorbild, sondern konzentriert sich mehr auf das Land. Die Kamera führt
ein Eigenleben, sie scheint zu entscheiden, wo sie sich befinden möchte.
Dadurch entsteht sowohl das Gefühl des Ausgeliefertseins, als auch der Eindruck
der Kamera als göttliche Macht. Als Johan seine Geliebte von seinen Kindern
trennt, interessiert sich die Kamera zunächst dafür und fährt langsam auf die
Situation zu. Doch als die Geliebte alleine steht, entschließt sich die Kamera
den Schauplatz wieder zu verlassen. Und selbst in diesen strengen Kompositionen
entdeckt Reygadas noch Momente der Poesie. Etwa ein im Regen fliegender
Regenschirm oder der Blick eines Kindes in die Kamera. Wie häufig bei Ingmar
Bergman, etwa in „Wie in einem Spiegel“, fühlt man eine den Menschen
übersteigende Kraft. Trotz der Freiheit der Erzählung scheinen die Charaktere
gefangen zu sein.
Freiheit, die den Tod als weitere Station der Natur begreift
und damit einen Kreislauf schließt. Ein Kreislauf, der sich auch in den zwei
Frauen schließt, die sich unterhalten und zum Leben erwecken. Ihre Emotionen
pulsieren unter ihren nüchternen Blicken. Wenn sie die Gefühle nicht mehr
kontrollieren können, endet ihr irdisches Leben. Ein Kreislauf, der sich in den
ständigen Wechseln der Jahreszeiten findet. „Komm wir sehen uns den Schnee an.“,
sagt der Vater zu seinem Sohn, als dieser ihm von seinem Dilemma erzählt. Das
ist alles, was man tun kann, um zu verstehen: Die Natur betrachten, mit ihr
leben. Bei Reygadas wusste Ödipus von Anfang an, dass er nach sich selbst
sucht. In seiner Ernsthaftigkeit gelingt es Reygadas tatsächlich die Schönheit
des Leidens zu finden.
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