Sonntag, 21. April 2013

Stellet Licht von Carlos Reygadas



Mit der ersten Einstellung ist man mitten in der Natur gefangen, die Soundkulisse erdrückt einen von der ersten Sekunde in „Stellet Licht“ von Carlos Reygadas. Der Film beginnt mit einem intensiven Blick auf den Sonnenaufgang und endet mit dem Sonnenuntergang. Doch  fragt man sich am Anfang des Films noch, wer sich hinter unserem Blick befinden mag, wem diese Aussicht in die aufgehende Sonne gehört, so bleibt am Ende nur der Horizont, der sich hinter den tausenden Geräuschen von Grillen, Gräsern, Donnern und Wind befindet und trotz seiner allmählichen Verdunkelung, so etwas wie Hoffnung vermittelt.


Natur und Kreislauf sind zwei Berührungspunkte von Reygadas in „Stellet Licht“. Über sie vermittelt er wahre Gefühle in einer einfachen melodramatischen Situation eines Mannes, der zwei Frauen zugleich liebt. Beide Frauen wissen voneinander und mit einer ist der Farmer Johan verheiratet und hat viele Kinder. Hier wird kein Betrug und keine menschliche Boshaftigkeit inszeniert sondern schlicht das Leid von einer Liebe zu viel. Die Charaktere scheinen sich jederzeit ihrer Schwäche bewusst. Den Effekt des Sakralen erhöht Reygadas noch, indem er seine Handlung in einer mexikanischen Mennonitengesellschaft ansiedelt. In einer Welt, in der jeder Schritt bedacht ist, jede Handlung reflektiert wird, ist das Leid über das eigene Versagen um ein vielfaches größer. Die Menschen sind Teil der Natur und sie sind ihr ausgeliefert. Gefühle sind größer als der Verstand und langsam beginnen die Charaktere daran zu zerbrechen. Die Natur dringt förmlich durch die Menschen hindurch, die ihr völlig machtlos ausgeliefert sind. Immer wieder zeigt Reygadas einen völlig unerwarteten Gegenschuss. Befindet man sich gerade noch im Haus mit Blick auf das Fenster, blickt man in der nächsten Einstellung von außen auf das ganze Haus und vermag die Handlung hinter den dunkeln Scheiben nur mehr zu erahnen. Der Schweiß oder Regen tropft den Figuren von ihren Gesichtern, sie können sich nicht dagegen wehren und müssen in ihrer Natur leben. So ist es auch später als Johan im strömenden Regen nach seiner Frau suchen muss. Johan scheint nicht aktiv in seine Handlungen zu treten. Wenn er zu seiner Geliebten fährt, dann geschieht das einfach. Dadurch, dass nie gezeigt wird wie es zu einer Entscheidung kommt, sondern immer erst in die eigentliche Handlung geschnitten wird, scheinen die Figuren Teil einer größeren Welt zu sein, in der sie nur im Rahmen gewisser natürlicher Triebe agieren können. Reygadas fängt Liebe als ein Gefühl ein und nicht, wie so oft in Filmen, als Handlung. So denkt Johan gerade noch nach und versucht sich klar zu werden, was er machen soll, bevor er im nächsten Moment im Auto sitzt, um seine Geliebte zu treffen. Die Treffen selbst reduziert Reygadas auf die Essenz. Ein langer und echter Kuss auf einem windigen Hügel oder ein vertrautes Ausziehen in einem kleinen Zimmer. Leid visualisiert der Film in klaren Nahaufnahmen zweifelnder Gesichter. Und in jener Stille, in der später so viel Hoffnung liegen soll, auch wenn das Licht im Sonnenuntergang erlischt.


Durch seine ruhigen, symbolträchtigen Bilder wirkt der Film selbst teilweise wie eine biblische Erzählung. Da werden die Kinder in ihrer völligen Unschuld in einem Teich gewaschen und es wird über das Leben, die Ehe und den Tod gesprochen. Aber nicht viel, denn wie sein Vorbild Andrei Tarkowski vermittelt Reygadas genuin durch Bilderwelten und Geräuschkulissen. Dabei teilt er allerdings nicht das Interesse für das Wasser mit seinem russischen Vorbild, sondern konzentriert sich mehr auf das Land. Die Kamera führt ein Eigenleben, sie scheint zu entscheiden, wo sie sich befinden möchte. Dadurch entsteht sowohl das Gefühl des Ausgeliefertseins, als auch der Eindruck der Kamera als göttliche Macht. Als Johan seine Geliebte von seinen Kindern trennt, interessiert sich die Kamera zunächst dafür und fährt langsam auf die Situation zu. Doch als die Geliebte alleine steht, entschließt sich die Kamera den Schauplatz wieder zu verlassen. Und selbst in diesen strengen Kompositionen entdeckt Reygadas noch Momente der Poesie. Etwa ein im Regen fliegender Regenschirm oder der Blick eines Kindes in die Kamera. Wie häufig bei Ingmar Bergman, etwa in „Wie in einem Spiegel“, fühlt man eine den Menschen übersteigende Kraft. Trotz der Freiheit der Erzählung scheinen die Charaktere gefangen zu sein.




Freiheit, die den Tod als weitere Station der Natur begreift und damit einen Kreislauf schließt. Ein Kreislauf, der sich auch in den zwei Frauen schließt, die sich unterhalten und zum Leben erwecken. Ihre Emotionen pulsieren unter ihren nüchternen Blicken. Wenn sie die Gefühle nicht mehr kontrollieren können, endet ihr irdisches Leben. Ein Kreislauf, der sich in den ständigen Wechseln der Jahreszeiten findet. „Komm wir sehen uns den Schnee an.“, sagt der Vater zu seinem Sohn, als dieser ihm von seinem Dilemma erzählt. Das ist alles, was man tun kann, um zu verstehen: Die Natur betrachten, mit ihr leben. Bei Reygadas wusste Ödipus von Anfang an, dass er nach sich selbst sucht. In seiner Ernsthaftigkeit gelingt es Reygadas tatsächlich die Schönheit des Leidens zu finden. 


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