Donnerstag, 27. Dezember 2012

Paul Thomas Anderson-Regisseur



Magnolia


Kaum ein zeitgenössischer Filmemacher vermag es mit einer solchen Kraft die Ästhetik eines verloren geglaubten Kinos vor dem Sterben zu bewahren. In seinen atemlosen Kamerafahrten und Plansequenzen spiegelt sich völlige die Bandbreite cineastischer Emotionen. Häufig beginnen seine Einstellungen in Totalen, sie präsentieren eine lebendige, detailgetreue Welt, um sich mit zielgerichteten, langsamen Zufahrten den Charakteren zu nähern und in einer Großaufnahme zu verharren, die weit hinter die Fassade blickt. In seinem aus der Riehe tanzenden „Punch-Drunk Love“ verdichtet er das räumliche Geschehen einmal in einem Cache zu einem kleinen Bildausschnitt, indem nur die sich festhaltenden Hände des verliebten Pärchens im Zentrum der Geschichte zu sehen sind. Doch diese Fokussierung auf die Essenz seiner Geschichten und Szenen gelingt ihm auch ganz ohne Cache. Es gelingt ihm ganz ohne klassische Dramaturgie. Vieles funktioniert, weil er zutiefst glaubwürdige und menschliche Charaktere zeichnet. Diese haben oft Schwächen, die so in Filmen selten thematisiert werden. Ihre größte Gemeinsamkeit ist Einsamkeit. Wenn Daniel Plainview, gespielt von einem diabolischen Daniel Day-Lewis, in „There Will Be Blood“ seinen Sohn in einem Zug wegschickt, verliert er nur für Momente seine kalte Fassade. Es sind diese kleinen Momenten, die Anderson immer wieder findet zwischen seinen rhythmischen Bewegungen durch die Welt. Oft reichen ihm nur wenige Augenblicke mit einer Figur, um ihr enorme Tiefe zu geben. Wenn Philip Seymour Hoffman in „Magnolia“ dem Drama seines Patienten im Sterbebett und dessen Sohn folgt und ihm dabei die Tränen überkommen, braucht man nicht mehr zu wissen über diese Figur, denn man scheint ihr unendlich nahe zu sein. Bei Anderson findet sich in seiner bisherigen Karriere keine einzige schlechte Performance. Immer wieder arbeitet er mit denselben Schauspielern. Julianne Moore, Luis Guzman, Philip Baker Hall um nur einige zu nennen. Der 42jährige bewegt seine Kamera ständig zwischen den Emotionen und Absurditäten des Lebens. Dabei schreckt er weder vor Pathos, noch vor Humor zurück. 

Punch-Drunk Love



Bei ihm passiert alles zugleich. Das Traurige und das Fröhliche, das Spannende und das Gefährliche. Hauptsache es bewegt sich was. In der Bewegung macht sich das ansonsten Unsichtbare sichtbar. Wenn er in der Eröffnungssequenz von „Boogie Nights“ fast sämtliche Charaktere des Films in einer komplexen Kamerafahrt ohne Schnitt einführt, dann ist das nicht reiner Selbstzweck oder die praktische Ausführung einer Theorie, sondern lässt uns zugleich den Groove des Setting und der Zeit des Films atmen. Exakt wie die grelle Sonne vor der Werkstatt in „Punch-Drunk Love“, die kalten Gänge des TV-Senders in „Magnolia“ oder die blinkenden, verlangsamten Spielhallen in „Hard Eight“. Die musikalische Untermalung seiner Filme gleicht einem lauten Konzert und spielt sich häufig auf einer ganz eigenen Ebene ab. Psychodelische Töne von Johnny Greenwood lassen in „There Will Be Blood“ den Druck der Bilder bis in den Adern spürbar werden. „Boogie Nights“ wartet mit einer Jukebox auf, die Quentin Tarantino vor Neid erblassen lässt und in „Magnolia“ beginnen alle Charaktere plötzlich ein Lied zu singen, obwohl sie sich an völlig verschiedenen Orten und in völlig unpassenden Situationen befinden. „But it’s not going to stop.“ Dieser Mut zur Verfremdung findet sich immer wieder. Viele Protagonisten in Filmen von Paul Thomas Anderson tragen eine große Wut in sich. Ähnlich wie bei Martin Scorsese wollen sie es zu etwas bringen und ähnlich wie bei Scorsese fehlen ihnen oft die Mittel. Allerdings verfallen seine Charaktere in Melancholie und Enttäuschung über das eigene Dasein. Oft werden sie in der Konfrontation mit den Fehlern und Verdrängungen ihrer Vergangenheit gebrochen. Das macht sie zugleich zu Opfern und Tätern. Zufall und Bestimmung ist ein weiteres Motiv, das sich durch alle bisherigen Filme des Kaliforniers ziehen. Ob ein Klavier vom Himmel fliegt oder Tiere, ob eine Figur zu gut ist, um ihr zu glauben, ob Gerechtigkeit existiert und ob Schuld weichen kann. Anderson ist kein religiöser Filmemacher, aber er spricht die Themen in einer fast kindlichen Art und Weise an, er beschäftigt sich mit den Motiven hinter der Religion und entdeckt dabei, dass Glaube und Hoffnung nicht die Motoren seiner Figuren sind, sondern sie ihnen einfach passieren. Und in den langen Kamerafahrten durch die Wahrnehmung dieser Charaktere wiederfährt vielen Zusehern ein Glaube und eine Hoffnung an einen Filmemacher mit dem der Herzschlag des Kinos zu hören ist. In einigen Wochen kommt mit „The Master“ der nächste Film von Paul Thomas Anderson in die deutschsprachigen Kinos. 

Hier wie gewohnt eine Übersicht mit Trailern:

Hard Eight/Sydney


Boogie Nights

Magnolia

Punch-Drunk Love
 

There Will Be Blood


The Master 
  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen