Dienstag, 30. Oktober 2012

Der erzählte Film "Die Wand" von Julian Pölsler



Wie stagnierend das Kino und seine Rezeption sein können, zeigt sich momentan wieder am Beispiel der Literaturverfilmung „Die Wand“ von Julian Pölsler. Als die ersten Regisseure des Kinos am Beginn des 20.Jahrhunderts damit begannen Geschichten zu erzählen (hauptsächlich D.W. Griffith) stellten einige Kritiker und Theoretiker schnell fest, dass sich das „neue“ Medium Film zu sehr an den „alten“ Medien Buch und Theater orientierte. Man müsse die eigentliche Essenz des Mediums besser heraus kitzeln; Film könne mehr, als nur Literatur zu verfilmen: Film ist eine eigene Wahrnehmung, ähnlich eines Traumes. Später kam der Tonfilm. Berauscht von den neuen Möglichkeiten des Kinos hat man sich insbesondere in den großen Filmnationen (USA, Frankreich ) zunächst wieder auf die alten Erzählmedien zurückbezogen. Man sah durch die Möglichkeit Dialoge zu hören und Erzähler einzubeziehen plötzlich wieder eine Nähe zur Literatur. Und man erntete die erneuerte Kritik der Theoretiker und Kritiker.  Film sei nach wie vor mehr, als gefilmte Literatur und der Schritt zum Tonfilm sei keine Veränderung des Mediums an sich, sondern nur eine hinzugefügte Möglichkeit die Realität (des Filmes) einzufangen und zu akzentuieren.

F.W. Murnau "Faust"


J.Pölsler "Die Wand"


Seither sind mehr als 70 Jahre vergangen. Im Kino läuft „Die Wand“. Er wird eigentlich durchweg positiv besprochen. Der Roman von Marlen Haushofer gehört zu den bekannteren und beliebteren der deutschsprachigen Literatur. Es ist eine Reflexion über das Menschsein, das Zusammenleben und die Einsamkeit. Wie (gefühlt) jeder Roman galt auch „Die Wand“ als unverfilmbar. Ein Text, der von einem inneren Monolog getragen wird, kann eigentlich kaum in Bildern erfasst werden. Aber Pölsler scheint das ganz gut zu gelingen. Mit Martina Gedeck hat er eine Idealbesetzung gefunden, die nicht nur mit ihrer Körperlichkeit, sondern auch mit ihrer eigentümlichen Stimmfarbe zu fesseln weiß. Mehr noch zaubern die verschiedenen Kameramänner eindringliche und traumhaft schöne Bilder der Einsamkeit auf die Leinwand. Der Film zieht den Zuschauer mit seinen geschickten Wechsel aus Nahen und Totalen in einen atmosphärischen Bilderbann. Aber all diese zugegebenermaßen hervorragenden und auch filmischen Aspekte des Films gehen völlig unter. Und zwar hinter einem völlig überzogenen Umfang an Voice-Over Narration. Die Erzählstimme drückt dem Film in einer Art und Weise den Stempel auf, dass man sich fragen muss, ob man gerade einer mit Bildern untermalten Lesung beiwohnt oder ob man so etwas wie einen eigenständigen Film betrachtet. Erschreckend die Begeisterung, die ein derart unfilmisches Werk in Filmkreisen einheimsen kann. „Die Wand“ ist mehr ein überlanger Werbespot für das Buch, denn eine Geschichte, die für ein anderes Medium adaptiert wurde.



Die Erzählung und Betrachtung der Vergangenheit-mag man mir entgegenhalten-ist natürlich Bestandteil der Geschichte um die namenslose Frau, die ihre Erinnerungen als Teil der Handlung notiert.  Doch auch dieses System aus Rahmen- und Binnenhandlung habe ich schon mal angeprangert und ich bleibe dabei: Rahmenhandlungen mögen in der Literatur ein probates Stilmittel sein, im Film gibt es nur wenige Ausnahmen, in denen eine Rahmenhandlung dem Werk etwas hinzufügt außer Zeit. In „Die Wand“ ist dem auch so. Wir ahnen lediglich die Schwere der Zeit, die auf der Frau liegt. Ein wichtiger Faktor, wie man annehmen könnte. Doch ich behaupte, dass man diese Schwere auch bemerken würde, wenn man den Film ohne Rahmenhandlung erzählen würde. Was auch bedeuten würde, dass man ihn ohne Erzähler aus dem Hintergrund erzählen würde. Was auch bedeuten würde, dass kaum ein Wort gesprochen werden würde. Was auch bedeuten würde, dass man sich ein gutes Stück von der Buchvorlage entfernen müsste. Was anscheinend auch bedeuten würde, dass kein Produzent bei Verstand diesen Film umsetzen wollen würde?



Der Markt, und damit meine ich den Zuseher, möchte zwei Dinge von einer Literaturverfilmung. Er möchte in erster Linie, dass der Film dem Buch entspricht. Was auch immer das bedeuten mag. Am liebsten würde er die Bilder so, wie er sie sich selbst vorgestellt hat sehen und dabei dieselben Emotionen empfinden und zu denselben Gedanken initiiert werden. Schon bei der Formulierung fällt die Unerreichbarkeit dieser Vorgabe auf. Auf der anderen Seite will der Zuseher natürlich nach der Gewohnheit des Kinos unterhalten werden. Also keine Seiten umblättern bei schwachem Licht und dergleichen. Zusammen funktioniert das selten und der pauschalste Satz, den jeder Kinogänger von klein auf lernt ist dann: „Das Buch war besser.“ Geschätzte 99 Prozent aller Leser des Buches tätigen wohl diese Aussage nach Betrachten des dazugehörigen Filmes. Aber ein großer Teil der Leser geht ins Kino, da können sich die Filmemacher sicher sein. Also richtet man sich natürlich nach dem Buch. Filmische Freiheit und Besinnung auf die eigene Kreativität und auf die Möglichkeiten des Mediums müssen da hinten anstehen, weil es in erster Linie darum geht Wörter in einer möglichst einfachen Form zu Bildern zu machen. (Und die einfache Form ist immer die Form, die man bereits kennt.) „Die Wand“ ist ein äußerst handlungsarmer Roman und Pölsler hat sich nun dafür entschieden dem Zuseher und dem Buch damit gerecht zu werden, die inneren Monologe der Protagonisten wortwörtlich aus dem Buch zu nehmen und sie zu einer penetranten Voice-Over Narration werden zu lassen. Damit mag er der Vorlage gerecht werden und die meisten Zuseher gewinnen, aber dem Kino wird er nicht gerecht. (und das trotz der Schönheit seiner Bilder.)



Der Film versteckt sich förmlich hinter seiner Vorlage. Selbst an völlig unnötigen Stellen. Zum Beispiel betritt die Protagonisten in den ersten Minuten des Films ein leeres Zimmer. Dort sollten eigentlich ihre Cousine und deren Ehemann sein. Sie sind es aber nicht. Das leere Bett ist zu sehen und die Protagonistin wundert sich. Im selben Moment ist ihre Stimme zu hören, die erzählt, dass die beiden doch schon lange zurücksein hätten müssen und dass sie sich wunderte. Durch dieses gleichzeitige Erzählen der Handlung werden die Bilder selbst völlig überflüssig. Man mag argumentieren, dass die Erzählung nun mal Teil der Geschichte sei. Die Protagonistin schreibt ihre Erlebnisse und Gedanken nieder und betrachtet ihre vergangenen Jahre eben in einer Niederschrift. Klar, aber muss man sich dem Roman so versklaven, wenn dadurch die Kraft der filmischen Sprache verloren geht? Wenn die Protagonistin schwerbeladen einen Berg hinauf wandert und oben völlig erschöpft ankommt, dann ist das die Schönheit von filmischen Codes, die unsere Generation seit der Kindheit gelernt hat zu lesen: Wir verstehen, dass der Weg anstrengend war und die Frau erschöpft ist. In „Die Wand“ muss ihre Stimme das zusätzlich betonen: Der Weg habe vier Stunden gedauert. Sie sei nun völlig erschöpft. Wieder werden die Bilder obsolet. Wenn die Frau lächelt, muss man nicht hören, dass sie glücklich ist. Ein Rest von eigener Denkleistung ist nicht zu viel verlangt. Zumal sich eine gewisse Interpretationsfreiheit innerhalb des Stoffes sowieso ergibt. Aber welche Wucht hätte der Film entfalten können, hätte er den Zuseher in dieselbe Stille und Einsamkeit versetzt, wie die Protagonistin. (die Passagen mit der klassischen Musikuntermalung verraten das Bemühen die Langeweile zu vermeiden.) Eine Stille, die einen vor ein völlig neues Gedankenfeld gestellt hätte, die einen den Film vielleicht nicht wie das Buch hätte lesen lassen, aber dennoch im Sinne des Buches. In seiner erzählten Form lenkt der Film den Zuseher fast im Stile eines Hollywood-Films. Einzig die poetische und damit nicht für jeden sofort zugängliche Sprache der Autorin rettet vor dem totalen Abfall. Eigentlich wird diese Form der Narration alleine von der Stärke seiner Buchvorlage gerettet. In gewisser Weise ist dieser Film eben ein Werbespot für das Buch, ein verlängerter Trailer. Mit schönen Bildern untermalt, werden die wertvollsten Stellen vorgelesen. 



Die stärksten Szenen in „Die Wand“ gibt es immer dann, wenn der Voice-Over aussetzt. Es sind meistens die Szenen, in denen die Gewalt der Existenz offenbar wird, seltener die Einsamkeit und Isolation. Warum fehlt hier der Mut sich von der Vorlage zu lösen? Die Wörter von Haushofer sind hypnotisierend und schön, aber sie geben keine Möglichkeit zur filmischen Rezeption. Dabei ist die Thematik trotz aller Befürchtungen eine durchaus filmaffine. Diese unsichtbare Wand könnte aus einem Tarkovskiy-Film sein. „Stalker“ fällt einem sofort als Vergleich ein. Ein Film, der den Zuseher zum Teil völlig alleine lässt, der ihn nicht bei der Hand nimmt und der gerade deshalb ein Vielfaches mehr über das Menschsein zu sagen hat, als „Die Wand“. Kann man so etwas heute nicht mehr riskieren? Natürlich muss man abwägen für welches Publikum der Film gemacht ist. Nun ist „Die Wand“ aber kein Mainstream-Film geworden. Bereits in den ersten 30 Minuten haben drei (jüngere) Zuseher das Kino verlassen. Also warum nicht gleich den Mut fassen und versuchen sich mit den Mitteln des eigenen Mediums dem Stoff anzunähern? Paradoxerweise gelingt das dem Film an vielen Stellen. Die Bilder und das Sounddesign, das Schauspiel und die Locations sprechen eine kräftige, vielfach deutbare Sprache, die absolut im Sinne des Romans verständlich wäre. Nur leider kommt spätestens nach einigen Sekunden wieder diese Stimme ins Spiel. Einer meiner Begleiter im Kino meinte nach dem Film, dass kein Zuseher dieser Welt einen Film sehen wollen würde, in dem zwei Stunden lang kaum ein Wort gesprochen würde. Glaube ich nicht. Vielleicht würde man mehr Menschen verärgern und mehr Menschen würden nichts mit dem Stoff anzufangen wissen. Aber gleich viele Zuseher würden den Film sehen wollen und das ist doch, was zählt für den Geldgeber. Auf der anderen Seite, könnte man die innere Entwicklung von außen zeigen, man könnte Bilder finden, die den Seelenzustand der Protagonistin verdeutlichen, die ihre Einsamkeit und ihre Gemeinschaft mit den Tieren vorführen und würde dadurch ein freies Denken ermöglichen, in dem die Bilder eben nicht nur das bedeuten, was die Autorin geschrieben hatte, obwohl sie es durchaus immer noch bedeuten könnten. Die Metaphorik des Themas bliebe absolut verständlich, weil sie eine Bildmetaphorik ist. Alternativ könnte man die Erzählung zumindest minimieren. An einigen Stellen trägt sich auch zum tieferen Verständnis und zur besseren Reflektion bei. Etwa, als die Protagonistin sich mit dem Vergehen von Zeit beschäftigt. Allerdings ist genau dieses „Vergehen von Zeit“ doch ein filmisches Thema.

"Stalker" von A.Tarkovskyi


Ich verteufle nicht im Allgemeinen die Verwendung eines Voice-Overs oder Literaturverfilmungen. Ich wundere mich nur über zwei Dinge: Erstens, dass die Entwicklung solcher Literaturverfilmungen abseits des technischen keinerlei Veränderungen durchlaufen hat im vergangenen halben Jahrhundert. Es gibt nach wie vor (übrigens auch im Theater) eine ganz schlimme Versklavung, ein verstecken hinter dem Text mit dem vorgehaltenen Argument der Vorlage gerecht zu werden. Der dramaturgische Denkanspruch besteht dann zumeist zu entscheiden welche Szenen oder Passagen der Rezipient nicht benötigt um zu verstehen und noch viel Wichtiger: Um sich nicht zu langweilen. Die Wirtschaft regiert eben den Film. Dagegen kann man wohl kaum etwas machen, aber im Falle von „Die Wand“, der immerhin von coop99 produziert wurde, denen man eine absolute Affinität zur Kreativität und Risikofreude nachsagen kann, muss man sich doch fragen, ob man nicht sowieso ein Nischenpublikum anspricht. Aber Wirtschaftlichkeit setzt eben auch voraus, dass den Zusehern zu einem Großteil der Film gefällt. (Stichworte: Mundpropaganda und DVD-Auswertung) So wird demnächst „Anna Karenina“ von Joe Wright anlaufen. Ein Regisseur, der sich darauf versteht seine unkreative Literaturtreue hinter einem Meer der spektakulären Bilder und Stimmungen zu verstecken. Das heißt nicht, dass er nicht zu Änderungen der Vorlage bereit wäre, sondern lediglich, dass er den Stoff nicht mit filmischen, sondern nur mit erzählerischen Gedanken fasst. Seine Spezialisierung auf die immer gleiche Art von Romanen, die sich mit einer „verbotenen“ Liebe beschäftigen, spricht schon Bände. („Atonement“ und „Pride and Prejudice hat er noch gemacht.) Und zweitens, dass man sich davon so gerne berauschen lässt. Natürlich sind die Narrationen der großen Schriftsteller oft unerreicht und egal in welchem Medium sie gezeigt werden faszinierend. Film hätte aber die Macht diese Narrationen in sein eigenes Medium transformieren und Bilder für die Worte zu finden. Dennoch stört es uns kaum, wenn das nicht geschieht. Es würde niemanden einfallen, dass man Zeit vergeude, wenn man einen Film beiwohnt, der eigentlich ein verkleidetes Buch ist. War ja ganz unterhaltsam. Da ist er wieder. Dieser Satz. Das mag ein Kampf gegen Windmühlen sein, aber zumindest bewusst kann man es sich machen. Ich finde, dass eine Art Kino, die ein halbes Jahrhundert sich den gleichen Stoffe auf die gleiche Art und Weise nähert, ist ein ziemlich totes Kino. Nur weil etwas funktioniert, heißt es nicht, dass es gut ist. Das ist wie eine Fußballmannschaft, die mit einer völlig destruktiven Taktik die Champions-League gewinnt. Aber was soll man dagegen sagen?

"Pride and Prejudice" von J. Wright


Dann würde ich zumindest den Vorschlag machen diese unsinnige Vorspannbemerkung „nach einem Roman von…“ in „der Roman von…erzählt in Wörtern und Bildern“ umzuwandeln.


1 Kommentar:

  1. Die Literaturverfilmung hat in den letzten 50 Jahren keine Wandlung erfahren, weil sie auf Dich gewartet hat ;)
    Davon abgesehen kommt es mir mehr und mehr so vor - gerade wenn ich mir amerikanische Autoren antue, dass die mehr und mehr "fürs Kino" schreiben, die Leinwand schon im Hinterkopf zu haben scheinen, wenn sie ihre Prosa in die Tastatur hämmern...

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