Dienstag, 11. September 2012

Postkartendramaturgie



Vor einigen Tagen habe ich mir den neuen Woody Allen Film „To Rome with Love“ angesehen. Ich hatte mich darauf eingestellt ihn gar nicht zu mögen, ihn förmlich zu hassen. Aber eigentlich hätte ich es besser wissen müssen. Trotz offensichtlicher Schwächen wird ein Filmemacher vom Format eines Woody Allen selten einen ganz schlechten Film machen, dafür riskiert er einfach zu wenig; er hat es auch nicht nötig zu riskieren. So ist es unterhaltsam, manchmal sehr nett sich den Streifen im Kino anzusehen. Die Stimmung war gut, es wurde viel gelacht. Was überraschenderweise nicht funktionierte war die Stadt-also Rom-im Film. Hatte man nach „Midnight in Paris“, „Vicky Christina Barcelona“, „Scoop“ (London) und natürlich in früheren New York-Filmen immer das Bedürfnis die jeweiligen Städte gleich nach dem Kino zu besuchen, so ließ mich Rom völlig kalt. Die polierten Bilder der Sehenswürdigkeiten wirkten diesmal einfach zu gezwungen, an manchen Stellen wirkte der Film wie ein Werbespot für eine Stadt, die der Regisseur nicht kennt. Bei Barcelona waren es eben nicht die Gaudi-Gebäude, die im Gedächtnis blieben, sondern die schmalen Gassen und die Charaktere, das Leben in der Stadt. Dieses hat in Rom nicht funktioniert, weil Woody Allen (nach eigener Aussage) die italienische Hauptstadt als etwas Zerstückeltes wahrgenommen hat und sich auf viele unterschiedliche Geschichten fokussierte. Ich glaube der wahre Grund, warum die Stadt nicht funktioniert, ist eine gewisse Müdigkeit von dieser Postkartendramaturgie, die nicht nur Woody Allen, sondern das ganze Kino beherrscht. Im Internet sehen wir ständig schöne Bilder von schönen Städten, im Fernsehen sehen wir ständig schöne Bilder von schönen Städten und im Kino sehen wir viel zu oft dieselben Bilder. Es spricht nichts dagegen einen Film in sagen wir Paris anzulegen. Paris ist eine Stadt viele Geschichten. Aber muss man denn immer den Eiffelturm sehen?

Postkartendramaturgie besteht aus 3 Punkten

Förderung und Produktionsbedingungen

Klischees

Postkartenbilder und die Stimmung der Stadt

        
      1. Förderung und Produktionsbedingungen

Dreharbeiten zu 360 am Ring in Wien

Natürlich bietet es sich an in gewissen Städten zu drehen. In den größten Städten des Landes herrschen häufig auch die besten Produktionsbedingungen vor. Es gibt Studios, Verleihe, Lagermöglichkeiten, Arbeiter usw. Filmemacher leben oft in diesen Städten und werden so natürlich auch davon inspiriert. Zudem ist es zur Mode geworden, dass Tourismusämter und Institutionen der Außendarstellung fördern, dass dort gedreht wird. Im Klartext: Es gibt Geld, um die Filme zu drehen. Rom wird sich einen Woody Allen Film einiges kosten lassen und Rom wird dem Filmteam gerade deshalb auch erlauben an schwierigen Drehorten, wie zum Beispiel in dieser Wohnung oberhalb der Spanischen Treppe zu drehen. In dem ebenfalls im Kino laufenden „360“ von Fernando Meirelles wird in einem Gespräch erläutert wie praktisch die Ringstraße in Wien doch ist. Dann gibt es eine Fahrt auf dem Ring, indem per Youtube-Ästhetik die Sehenswürdigkeiten entlang des Rings eingefangen werden. Das sieht dann wirklich so aus wie ein Tourismusvideo und hat nichts in diesem Film verloren. Förderung ist gut, solange sie sich aus der Dramaturgie hält. Es bringt ja auch nichts ein Coca-Cola Sponsoring zu bekommen, wenn die Bedingung von Coca-Cola ist, dass in einem Mittelalter-Film aus Cola Flaschen getrunken wird.


      
      2.       Klischees

Paris je t'aime-Vielleicht der Gipfel der Postkartendramaturgie?

Eigentlich spricht nichts dagegen einen Film in einer großen und bekannten Stadt zu drehen. Leider ergeben sich die gedrehten Filme aber oft den Klischees von Land und Leuten. Woody Allen selbst macht das seit Jahrzehnten mit einer Art Augenzwinkern, das ihn rettet. Seine Römer singen Oper unter der Dusche, sind streng katholisch, gestikulieren wie wild und lieben das Essen. Seine Spanier sind temperamentvoll, streiten viel und lieben das Leben. Allen ist halt ein Comedian, man muss es ihm verzeihen. Wie viele Österreicher haben eine sexuelle Störung in Filmen? Anderes Thema, aber diese Klischees hängen tatsächlich am jeweiligen Film und es gibt auch tolle Ausnahmen, die Städte und ihre Bewohner von anderen Perspektiven zeigen. Viel schlimmer sind die filmischen Klischees, denen man scheinbar folgen muss. Die Bilder, die dem Zuseher schon in den Kopf kommen, bevor  er ihn gesehen hat. Diese offensichtliche Frage: Wie Filme ich diese Stadt? Leider sieht das häufig sehr gleich aus. Diese grausamen Establishing-Shots, in denen dann eben der Eiffelturm zu sehen ist und man weiß: „Ah, das ist Paris.“. Wir Europäer tun uns unheimlich schwer den jeweiligen Ort mit zu erzählen. Im amerikanischen Kino passiert das wie von selbst. Es hat einfach eine gewisse Bedeutung, ob ein Charakter aus Texas kommt oder aus New York. Oft sind das auch Klischees, die bedient werden, aber es wirkt nicht so klischeehaft oder um es anders zu sagen: Im europäischen Kino, von den Schtis, über Rosenmüller-Filme bis zu Woody Allen gewinnen Locations fast ausschließlich in Komödien an Bedeutung. Manchmal sind es noch Coming-of-Age Filme nach dem Prinzip: Ich komme vom Land und bin jetzt endlich in der großen Stadt. Die Körperlichkeit amerikanischer Filme wird kaum erreicht. Man sieht einem Charakter fast an, woher er kommt in vielen Übersee-Produktionen. Wir können uns fast nur lustig machen über unterschiedliche Kulturen. In den seltensten Fällen setzt sich das europäische Kino ernsthaft damit auseinander, zumindest das westeuropäische Kino. Westeuropa produziert Wohlstandsfilme, die sich mit der Vergangenheit oder mit besonderen Charakteren beschäftigen und nicht mit geographisch-geschichtlichen Hintergründen. Diese werden-wenn überhaupt-als billig anmutende Backstory eingeführt. Frei nach dem Motto: Er kommt aus der ehemaligen DDR, es muss ihm schlecht gehen.


      3.       Postkartenbilder und die Stimmung der Stadt


Und dann sehen wir eben das Colosseum und den BigBen, die Manhattan-Bridge, die Wiener Oper, den Berliner Hauptbahnhof und den Triumphbogen. Man nehme einen Drehort, stelle die Charaktere davor und erfinde irgendeine halbwegs plausible Szene, die sich dort abspielen könnte. Die Leute erfreuen sich der schönen Bilder und achten nicht so sehr auf den Ort, schließlich ist das ja Kino und es soll schön groß und unterhaltsam sein. Die Dramaturgie solcher Filme ist höchst interessant, weil die Story lediglich als roter Faden zwischen den berühmten Orten dienen muss. Wenn man seinen Charakteren folgt, dann landet man vielleicht eher in der mexikanischen und marokkanischen Wüste, wie Alejandro Gonzales Iñárritu in „Babel“. Somit hat der Ort innerhalb der Postkartendramaturgie eine größere Bedeutung als die Charaktere. Es geht sogar noch weiter. Die Charaktere werden dem Ort angepasst, um die Stimmung der Stadt zu vermitteln. Es gibt dann immer den abenteuerlustigen Charakter, der sich einfach durch die Stadt treiben lässt, es gibt immer den Charakter, der das alles zum ersten Mal sieht und erlebt (so wie wir?) und es gibt den Einheimischen, der seine Sicht der Dinge-ähnlich einem Fremdenführer-schildert. Manchmal habe ich das Gefühl, wenn man zehn solcher Filme im Jahr sieht, hat man schon fast die Hinreise zu einem dieser Orte bezahlt. Aber in unserer Gesellschaft sind Fotos von Dingen manchmal genauso wichtig, wie das tatsächliche Erlebnis und das haben die Filme schon lange Zeit vor Facebook gemerkt.

Kino ist nun mal ein Ort des Sehens und Staunens mag man dagegenhalten. Das stimmt, aber möchte man nicht neues und anderes sehen? Reicht es, wenn man immer von denselben Orten träumt, fremdgesteuert von den reichsten und bedeutendsten Städten und Ländern des Planeten? Das einzige, was man wohl dagegen tun kann, ist sich Filme aus anderen Kulturen anzusehen. Thailändische, chinesische, argentinische, afrikanische Filme. Es gibt auch viele europäische Filme, die einem kein Postkartengefühl geben. Dennoch ist die Postkartendramaturgie ein Missstand unseres Kinos. Bereist man eine fremde Stadt ist der erinnerungswürdigste Augenblick in den seltensten Fällen vor oder in der Nähe der großen Sehenswürdigkeiten. Es sind die Hotelzimmer, die kleinen Gassen, das verlassene Ufer am Fluss, der abgefuckte Park, an dem die wichtigen Dinge passieren. Dahin muss auch das Kino. Gerade hat Richard Linklater mit Julie Delpy und Ethan Hawke ein weiteres Sequel zu „Before Sunrise“ in Athen gedreht. Es heißt „Before Midnight“ und er wird (geschätzt) einer krassen Postkartendramaturgie folgen. Im ersten Teil, der in Wien spielte, funktionierte diese Dramaturgie. Weil man den sich treibenlassenden Charakteren einfach gefolgt ist. Im zweiten Teil „Before Sunset“ in Paris fühlt man sich schon deutlich mehr fremdgesteuert. Athen ist zumindest etwas ungewöhnlicher, man darf gespannt sein. Viel Förderung dürfte man ja im Moment auch nicht bekommen von Athen…


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