Montag, 20. Februar 2012

Reihe Teil 7- The Dark Knight- Heath Ledger

Der nächste Film ist The Dark Knight von Christopher Nolan aus dem Jahr 2008.





„Welcome to a world without rules“ steht in großen Buchstaben über dem Poster, das Batman vor seinem brennenden Logo zeigt, welches in ein Gebäude hinein gebrannt wurde. Anarchie jetzt! Nie zuvor wurde derart konzentriertes Marketing, fokussiert auf einen einzelnen Charakter, den sagenumwobenen Erzfeind des Superhelden, den Joker, betrieben. Gotham (die fiktive Stadt im Batman-Universum) wurde bereits ein Jahr vor Kinostart etabliert, als eine real existierende Stadt in den USA. Zeitungen wurden verteilt. Es ging um die Wahl des Bürgermeisters, kleinere Verbrechen und weitere politische Themen. Aber irgendwer hatte mit bunten Farben Vandalismus in den Schlagzeilen und Werbeanzeigen betrieben. Filmkritikern wurden Torten geschickt mit mysteriösen Telefonnummern, im Internet gab es Spiele und das Lachen des Jokers begann sich zu verbreiten, bevor man auch nur annähernd wusste, wie er denn aussehen wurde.




In unserer Reihe ist der Joker ein Sonderfall. Er ist ein Charakter, den es schon gab, bevor es den neuen Film gab. Er war schon ein Mythos, bevor er die Leinwand betrat. Vielleicht einer der beliebtesten Schurken der Geschichte der erzählenden Bilder. Dennoch waren Millionen von Kinobesuchern mit The Dark Knight zum ersten Mal von der Aura des Jokers fasziniert. Das hat drei Gründe:

1.    Der Joker-als Bösewicht der Gegenwart
2.    Der Joker-als Mythos für einen tragischen Schauspieler
3.    Der Joker-als Stilübung für den größten Blockbusterregisseur unserer Zeit




„You wanna know how i got these scars?“; der Joker wird diese Frage offenlassen, er wird sie im Laufe des Films verschieden beantworten. Immer tragisch, mit dem Hang zum völligen Wahnsinn. Eine Antwort auf eine Welt, in der alles, was anders und böse ist immer nach Erklärungen schreit. Wenn man längere Zeit erschöpft ist, dann erfindet man einen Begriff dazu und alles ist gut, wenn Terroristen U-Bahnen in die Luft springen, dann gibt es immer Motive, wenn Kinder mit Waffen Kinder töten, dann waren es die Videospiele oder die Eltern. Uns macht nichts mehr Angst, wir können doch alles klären. Und wir fühlen uns sicher. Psychologie und Politik sind sozusagen zur neuen Kirche verkommen. Ein moralischer Überlebenskampf, der uns in der Nacht schlafen lässt und am Tag leben lässt. Das Kino ist schon seit langer Zeit auf diesen Zug aufgestiegen. Und zwar aufgrund von scheinbaren Zuschauerdruck. Wenn man-so die Annahme-die Motivationen plausibel darstellt, dann kann man sich sämtliche Ausbrüche und Verrücktheiten erlauben. Also ist das Kino überbevölkert mit trinkenden Vätern, sterbenden Müttern, vergewaltigenden Onkeln und ertrunkenen Schwestern. Natürlich haben gerade im europäischen oder unabhängigen Film immer wieder Filmemacher mit diesen Klischees gespielt. Aber im Mainstream-Kino gelten sie bis heute als Manifest. Der Zuseher soll ja unterhalten werden und nicht schockiert. The Dark Knight riskiert es trotzdem. Die einzige Erklärung zum Verhalten des Jokers kommt aus dem Mund von Michael Caine: „Some people just want to watch the world burn.“ Und das macht uns Angst, das macht den Joker so unheimlich faszinierend. Wir wollen wissen: WARUM? Er bleibt

Unberechenbar
Anders
Unpolitisch
Frei
Anarchistisch




Nolan kann sich das erlauben, weil der Joker mehr eine installierte Figur, als ein menschlicher Charakter ist, weil es in einem Comicuniversum andere Regeln gibt. Aber es ist erstaunlich, dass diese näher an der Realität zu sein scheinen, als viele hochmotivierte Dramen, die jede kleine menschliche Regung motiviert sehen wollen. Können wir uns in diesem Clown, in diesem Psychopathen und Massenmörder tatsächlich auch wiederfinden? Ja, weil er uns alles offenlässt, weil wir seinen Hintergrund selbst gestalten und mangels Alternativen werden wir unbewusst unseren eigenen Hintergrund auf dieser Figur abbilden. Wir wissen, dass es nur eine Comicfigur ist und lassen uns komplett auf ihr Spiel ein. Und in dieser Comicwelt ist es so unheimlich attraktiv einfach zu tun, was einem scheinbar gerade einfällt. (ganz zu Schweigen davon, dass der Joker-ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Aussage-minutiös geplante, hochintelligente Verbrechen begeht.) Wir lieben Michael Douglas in Falling Down,  wir lieben es in GTA sinnlos mit Cabrios über Passanten zu fahren und wir lieben Filme, weil sie keine Konsequenzen haben.




Oft ist eine überdeutlich gezeichnete Motivation auch Folge einer zu ausführlichen Arbeit mit Schauspielern, die Angst vor der Rolle haben und alles mit dem Kopf steuern wollen, bevor sie sich wirklich in die Rolle fallen lassen. Heath Ledger scheint sich für die Rolle völlig aufgegeben zu haben. Als das Casting bekannt wurde, gab es in Fankreisen eigentlich nur eine Reaktion: Stirnrunzeln. Casanova, Ritter aus Leidenschaft oder Brokeback Mountain sind nicht gerade Visitenkarten für einen brutalen Psychopathen. Schnell reagierte man bei Warner und es gab Berichte über einen Schauspieler, der sich völlig in die Rolle einarbeitet, der sich tagelang in Hotelzimmer verschanzt, um an der Stimme des Jokers zu arbeiten, der allen am Set mit seinem Auftreten Angst einflößt…eigentlich das Übliche. Dass Jack Nicholson praktisch der direkte Vorgänger von Ledger in der Rolle des Jokers war, half auch nicht gerade in Sachen Erwartungshaltung. Nicholson’s völlige over-the-top Performance in Tim Burton’s quietschbunter Comicwelt, hat Kultstatus.


Was dann passierte, ist bekannt. Am 22.Januar 2008 wurde Heath Ledger tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Wie sich später herausstellte starb er an einer Medikamentenüberdosis. Die Filmwelt war entsetzt. Als später der erste längere Trailer zum Film im Internet auftauchte, sah man die völlige Verwandlung, der sich der Australier unterzog. Eigentlich war mit dem ersten Trailer klar, dass er den Joker auf ein neues Level heben würde. Film würde ihn in gewisser Weise unsterblich machen. (erzählt das mal seinem Kind, das ohne Vater aufwachsen muss)  Natürlich profitierte der Film von Ledger. Nicht nur bezüglich des Einspielergebnisses, sondern auch bezüglich der Rezeption. Als Zuschauer begann mit erhöhter Konzentration zuzusehen, wenn Ledger ins Bild kam, man wollte (wieder unterbewusst) sozusagen erkennen, warum er gestorben ist, man wollte in seine Seele schauen und natürlich hat man oft die Rolle vergessen und den Schauspieler gesehen. ABER: Das gelang einem kaum, weil Ledger den Joker derart zelebrierte, dass man einfach nur nüchtern dem Schauspieler gratulieren muss und es bedauern muss, dass so viel Talent, so früh verloren gegangen ist. Der Oscar, den es dafür posthum gab, ist ein weiterer verzweifelter Versuch Hollywoods sterbliche, fehlerhafte Personen unsterblich zu machen. Aber die Rolle war größer als der Schauspieler und da das das Verdienst von Ledger ist, war er Hollywood einen großen Schritt voraus.



In The Dark Knight wird der Bösewicht inszeniert wie ein Held. Christopher Nolan hat sich völlig auf den Charakter eingelassen und hat erfolgreich riskiert den eigentlichen Helden weit weniger heldenhaft erscheinen zu lassen, als den Gegenspieler. Und das ist brillant kalkuliert, weil er weiß, dass sein Held immer genauso stark sein würde, wie der Bösewicht. Er lässt die beiden Widersacher ja sogar über diese Thematik reflektieren. Sie brauchen sich gegenseitig. Keiner der beiden kann ohne den anderen. Im Vorgänger Batman Begins inszenierte Nolan eine Sequenz, in der Batman zwischen Containern im Hafen zum ersten Mal für Ordnung sorgt. Er selbst ist dabei kaum zu sehen, nur die Reaktion seiner Feinde. Man bekommt Respekt und sieht die Kraft dieses „Superhelden“ (der Begriff wirkt bei Nolan immer so billig…) The Dark Knight beginnt mit einer ähnlichen Sequenz. Einem Banküberfall und wir sehen den Joker nicht, hören aber viel über ihn und spüren seine Macht. Die Ansage Nolans: Jetzt kommt ein gleichwertiger Konkurrent. Wie schmal ist die Linie zwischen Verbrecher und dem Kampf gegen das Verbrechen? Das die Eröffnungssequenz an Heat von Michael Mann erinnert ist kein Zufall. Auch hier werden Verbrecher und Polizist auf einer Ebene präsentiert.
Immer wieder zeigt er den Joker untersichtig, er zeigt die Angst der Opfer; die Angst einer ganzen Gesellschaft. Er zeigt Kriminelle, die noch schlechter sind, als der Joker; er zeigt einen humorvollen Psychopathen (Stichwort: Krankenhaus); einen Mann der keine Angst hat. Plötzlich nimmt sich Nolan Zeit, es wird leise und er lässt uns die Freiheit spüren, als der Joker seinen Kopf aus einem fahrenden Polizeiauto streckt. Manchmal scheint er sogar Recht zu haben mit seinen wilden Argumentationen. Wo Batman eine Maske trägt, sehen wir beim Joker zumindest ein geschminktes Gesicht.  Hans Zimmer fügt eine neue Note in seinen sonst fast identischen Soundtrack zum Vorgänger ein. Der Joker sitzt auf einem Verhörstuhl. Halb im Schatten, halb im Licht. Er lässt ihn nicht sterben, er zeigt einen Verrückten. Seine Welt steht auf dem Kopf und Nolan zeigt uns wie das aussieht. Weil wir dann auch so denken würden?





Weiter geht es mit Die fabelhafte Welt der Amélie und Audrey Tautou.

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