Donnerstag, 19. Januar 2012

Fragmente

Ist das Fragment näher an der Realität? Nach dem Betrachten von 21 Gramm von Alejandro González Iñárritu und 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls von Michael Haneke stellt sich mir diese Frage. Haneke selbst behauptet es.




71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls


Ein Fragment. Eindrücke, nur ein loses Zusammenhängen, weil unsere eigene Wahrnehmung ja auch so ist; also täuscht sich der Film doch selbst, wenn er einen roten Faden verkauft, wenn er Charaktere verbindet, die im echten Leben so nicht verbunden sind. Klar, denn er zeigt ja nur einen Ausschnitt, also ein Fragment, aber der klassische Film sucht sich nur die verbundenen Fragmente, die zusammenhängen und eine Story ergeben. Logik und Sinn, wie im echten Leben? Ausgelassen werden in Hollywood und auch sonst überall vor allem gerne Gewalt und Sex. Der Zuschauer weiß ja, was passieren wird und es ist effektiv ihn in diesen Szenen seiner Imagination zu überlassen und nebenbei wird auch noch das Jugendverbot umgangen. Warum kann man den Zuschauer nicht auch inhaltlich seiner Imagination überlassen? Hier jedenfalls das Beispiel für eine fragmentarische Sexszene, die trotzdem nichts auslässt:



Don't look now

Episodenfilme waren und sind schon immer beliebt. Manche präsentieren fast zusammenhanglose Stories, die sich nur intellektuell verbinden lassen oder durch eine inhaltliche Parallele und Interpretation erfordern. Ein Beispiel hierfür wäre Night on Earth von Jim Jarmusch.  Meistens kreisen die Geschichten jedoch um ein bestimmtes Ereignis oder es läuft darauf hinaus, dass sich alle Handlungsstränge schließen. (Amores Perros von Alejandro González Iñárritu); eleganter und von den Kritikern mehr gemocht wird es, wenn man nicht alles zusammenführt, sondern nur manches, sozusagen das Fragment erhält. (Magnolia von Paul Thomas Anderson).


Amores Perros


Oft müssen sich Episodenfilme, die alles zusammenführen anhören, sie seien zu konstruiert. Aha. Was ist eigentlich ein Fragment? Ein Bruchstück oder Überbleibsel laut Wikipedia. Etwas Unfertiges. Oh, aber wir wollen doch ein gutes Ende, am besten einen Twist oder eine Pointe am Ende des Filmes, aber zumindest sollte nichts offen bleiben. Wir wollen alles verstanden haben und alles soll logisch sein, ist doch prinzipiell egal, ob es realistisch ist, ist ja ein Film. Also kein Fragment? Autoren und Regisseure werden dafür bezahlt die Lücken zu füllen, die das Leben lässt. Heutzutage ist das so und es war auch nie anders. Wenn am Ende eine neue Frage gestellt wird, dann nennt man das Cliffhanger. Ein albernes „Zuschauer-ich-will-dich-auch-im-Sequel-sehen-oder-in-der-nächsten-Folge“ Mittel des populären Film und Fernsehens. Kein Fragment, weil es nur mit dem Wunsch des Zusehers nach einer Welt ohne Fragmente spielt. Aber es ist gerade die Möglichkeit zum Fragmentarischen, die Film zu mehr macht als Unterhaltung. Ich verstehe nicht, warum das Ende immer als wichtig empfunden wird. Welches Ende?




Interessant zu beobachten ist, dass sich das Fragment im Gegensatz zum Drehbuch in Kameraarbeit und Schnitt schon fast bis zum Exzess durchsetzt. Wahrnehmungsschnipsel dringen noch zu uns in Actionfilmen, ein Schrei, Blut spritzt auf die Kamera….Cut, Cut, Cut. Geschwindigkeit der Wahrnehmung, alles wie im echten Leben, oder? Zumindest ist es modern. Wir brauchen auch keine sauberen, ausgeleuchteten Bilder mehr. Wir sind Youtube-Standard gewöhnt. Solange wir noch was erkennen können…und überhaupt, was wir alles sehen dürfen. Was wir nicht sehen ist die Eintönigkeit des Fragments; alles ist fragmentiert, also ist es vielleicht doch gerade das Recht des Kinos das Fragment zu umgehen. Ja, aber nur unter dem Opfer sich absolut von der echten Welt zu entfernen. Das Fragment ist für mich keine Form der Wahrnehmung, es ist der definitive Ist-Zustand des Lebens und es darf keine andere Art Geschichten zu erzählen geben, wenn man Realitätsanspruch hat. Ich kenne kein Ende, die Geschichte geht immer weiter. Es sei denn Melancholia. Und die äußere Form, die Lars von Trier für das Ende gewählt hat? Fragmentarisch. In Drehbuch, Kamera und Schnitt. Und wir können alles sehen. 

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