Dienstag, 8. November 2011

Viennale Part 1



Es ist Samstagmorgen und der Wecker klingelt. Erste Sonnenstrahlen sind zu erkennen irgendwo hinter meinen Augen. Was mache ich schon wach? Richtig. Ich will mir Viennale-Tickets kaufen und dafür, so hat man es mir gesagt-muss man früh wach sein. Der offizielle Verkauf beginnt um 9:00Uhr, es schadet nicht, wenn man schon um 8:00Uhr dort ist. Naja. Ich bin ja kein Nerd oder so, also reicht auch 8:30Uhr. Ich habe mir eine kleine Liste angefertigt mit Filmen, die ich gerne sehen möchte und mit Alternativen, falls es mit diesen Filmen nicht klappen sollte. Eigentlich hätte ich für jeden Tag etwas gefunden, aber das gibt der Geldbeutel nicht her.

Ich bin um 8:15Uhr dort. Ich sehe eine große Reihe, die sich bereits gebildet hat. Manche liegen sogar auf Isomatten. Was ist denn hier los? Ein neues Applegerät??? Stehen all diese Menschen tatsächlich an, um ins Kino zu gehen? Muss ich meine Generationskritik in der Überschrift dieses Blogs vielleicht sogar umwandeln in „Deutschland ohne Film“? Nein, natürlich nicht. Das ist ja auf der Berlinale und selbst auf den Augsburger Filmtagen nicht anders. Filmfestivals ziehen. Sie sind wie der weihnachtliche Kirchgang, man erinnert sich daran, dass man eigentlich gerne Filme sieht und geht plötzlich ins Kino. Zudem kriechen allerhand Künstler und Kinointellektuelle aus ihren Kellern (auch in Österreich), weil sie ein „anderes“ und „besonderes“ Kino sehen können, weil neben den großen Headlinern um Cronenberg und Clooney eben auch Experimentierkino, Dokumentarfilme, längst vergessene Filme und exotische Filmperlen gespielt werden. Festival eben. Das Programm der diesjährigen Viennale ist gewissermaßen ein Best-Of aus Cannes, Venedig und Berlin. Nicht zuletzt deshalb funktioniert dieses Festival so gut für sein Publikum.

Eine freundliche Dame verteilt Frühstück und bald schon kommt auch eine Freundin, die sich tatsächlich dazu bereiterklärt hat, sich mit mir anzustehen. Vielleicht ahnt sie noch nicht, dass es länger dauern könnte…



Fast vier Stunden später habe ich ca. 60 Prozent der Tickets, die ich haben wollte (der Rest war ausverkauft) und einen sensationellen Interviewauftritt im österreichischen Fernsehen hingelegt.

Der erste Film, den ich mir ansehe ist „Alpeis von Yorgos Lanthimos, der schon vor 2 Jahren mit seinem spektakulär makaberen „Dogtooth“ auf den Festivals für Furore sorgte. Bitterschwarzer Humor, eine nachdenklich stimmende Langsamkeit und die ständige Wiederholung von Handlungen, Orten und Worten. Eine Statik und die Abwesenheit der Ganzheit aus dem Bild, sei es durch abgeschnittene Körper oder durch das häufige Fehlen eines irgendwie gearteten Establishing Shots, zeichnen beide Filme aus. Alpeis ist daher eine konsequente Fortführung des dennoch etwas runderen wirkenden Vorgängers. Das könnte daran liegen, dass der Handlungsraum im Vergleich deutlich erweitert wird und so die Klarheit der Figuren etwas verloren geht. Es ist sowieso ein eigener Humor und deshalb möchte ich für diese Art Film keine Empfehlungen aussprechen. Wer mal sehen will wie man trotz finanzieller Notlage noch stilistisch anspruchsvolles Kino auf die Beine stellt, wie man eine Menschenansicht bis zum „Nichtaushalten“ dem Bizarren darlegen kann und wie man Perversion als Alltag inszeniert, der sollte aber durchaus einen Blick auf zumindest einen der beiden Filme von Lanthimos werfen.


Das Kino ist gut gefüllt, die Organisation klappt. Es hätte auch Viennale-Taschen zu gewinnen gegeben und ein netter Mann lädt uns alle aufs Badeschiff ein, wo unbekannte Regisseure ein paar Platten auflegen. Genauso toll wie Musiker, die ein paar Filme drehen und dann auf einem Badeschiff nach Venedig fahren damit…

Man bemerkt das Festival durchaus in der Stadt, überall Hinweise und Werbungen im öffentlichen Verkehr. Vor dem Parlament wehen Fahnen auf denen dick Viennale steht. Es ist nicht so groß, aber es ist präsent. Zumindest in Teilen.

Der nächste Film ist Drive von Nicolas Winding Refn. Die Inszenierung ist sein Inhalt und deshalb hat er auch vollkommen zu Recht in Cannes den Regiepreis gewonnen. Seinen kompletten Reiz gewinnt der Film aus der Frage, WIE es als nächstes passieren wird. Weil WAS passiert ist in diesem gewöhnlichem, wenn auch nicht typisch amerikanischen Handlungskonstrukt schnell erkannt. Ich fühlte mich an „Der eiskalte Engel“ von Melville erinnert. Es wird meist keine Emotion gezeigt und daraus entsteht die Emotion. Der Film ist overstyled, extrem cool und er ist voller Gewalt. Wer Refn kennt, hatte damit rechnen müssen. Der Kinosaal bebt an Stellen, die an das Kino eines Gaspar Noe erinnern. Kein Wunder, dass man sich bei eben jenem Skandalregisseur einige Tipps abgeholt hat. Gosling gibt den Delon. Verzieht kaum eine Miene, ist kriminell, aber irgendwie ist er Opfer, eigentlich könnte er doch anders, was ist mit ihm? Und Autofahren wurde seit den 70ern selten derart gekonnt in Szene gesetzt. Von dieser ruhigen Rauheit hatte selbst Tarantino in Death Proof nur geträumt. Ein fast schwebender, traumartiger Film, der sich absolut darüber bewusst ist, dass er ein Film ist und genau daraus eine Art neuartigen Comic-Realismus zieht.


Auf diesen Film gab es trotz der Vorführzeit um Mitternacht einen beachtlichen Run. Wir wurden fast ins Kino geschoben, es gab ein Wettrennen um die besten Plätze. Dem könnte man mit festen Platzzuweisungen doch einfach aus dem Weg gehen. Aber vermutlich würden dann die Säle nicht so voll sein. Derselbe Mann mit derselben Stimme im selben Tonfall lud mich und alle anderen aufs Badeschiff ein. Aber nach diesem Film wollte ich nur noch ins Auto.

To be continued mit Submarine, Cut und Take Shelter

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