Ein Regisseur hat gemeinhin zwei Möglichkeiten dem Zuseher
Dinge in einem Film nicht zu zeigen. Einmal räumlich, durch seine
Mise-en-scène, indem er durch seine Kadrierung einen Off-Screen etabliert und
so Informationen bewusst vorenthält und zweitens auf der zeitlichen Ebene,
durch die Montage, indem er Momente und Szenen auf der Zeitebene auslässt. Auffällig
ist dabei, dass es im klassischen Mainstreamkino immer darum geht in der
Mise-en-scène nichts zu verpassen und auf der zeitlichen Ebene nur das zu sehen,
was für eine narrative Entwicklung relevant ist. Die Kraft der Ellipse, die
gleichzeitig ein poetisches, ja traumartiges Element verkörpert, geht damit
leider völlig verloren. Im künstlerisch orientierten Kino ist dieses Stilmittel
jedoch Teil einer gemeinsamen Sprache. In einem Interview mit Corneliu
Porumboiu, das ich vor kurzem führen durfte, betonte der rumänische Filmemacher, was man anhand seiner Filme
längst wusste: „Dinge, die am Rand oder außerhalb des Bildes stattfinden, sind
für mich interessanter als das, was im Bildzentrum geschieht.“ Es ist eine
Antwort auf das Mainstreamkino, aber auch auf den durch die Gesellschaft
gezogenen Drang immer mehr und am liebsten alles zu sehen. Im Kino hat man die
Möglichkeit nicht zu sehen. Kino muss heute-mehr als je zuvor-bedeuten anders
zu sehen. Wir leben in einer Welt, in der wir ständig in einer Art Kino sind.
Visuelle Eindrücke regnen auf uns nieder zu einem Grad, der das Bild weit über
das Wort, den Gedanken oder das Gefühl zu heben scheint. Die Lust am
Voyeurismus ist schon lange keine Versuchung mehr, sondern eine Sucht. Damit
geht die Schönheit und Unschuld des Sehens verloren und darüber hinaus
vergessen wir, was ein Off-Screen eigentlich bedeuten kann, wir vergessen, dass
es eine Welt links, rechts, hinter, vor, über und unter dem Bild gibt.
Nur das
Kino selbst, jener eigentlich auf das Bild zentrierte Ort eröffnet diese Räume
neu. Indem er sie bewusst auslässt, mit unseren Erwartungen des Off-Screens
spielt und im Ton eine größere Welt erschafft. Paolo Sorrentino, ein Mann der
großen Bilder, der mächtigen Bilder unglaublicher Schönheit ist ein Filmemacher
dieses Zeitalters, er ist ein elliptischer Filmemacher. In der Schlussszene
seines „La grande bellezza“ fährt er auf dem Tiber unter Brücken hindurch.
Elliptisch bewegen sich dabei-wie schon den ganzen Film-das Boot und die
Montage vorwärts. Es ist ein ruhiges und doch sprunghaftes Auslassen von
Informationen, fast unnötig erscheint es, aber entspricht es doch so sehr
unserer Wahrnehmung. Einer Wahrnehmung, die nie ohne Abbrüche funktionieren
kann und die meist die atemberaubenden Momente in Erinnerung hält. Ingmar
Bergman, dessen „Sommaren med Monika“ eine ganz ähnliche Bootsfahrt enthält,
bewegt sich ebenfalls mit Ellipsen durch seine Geschichte einer verlorenen
Jugend. Ein Schwall von bedauerlicher Nostalgie weht durch diese Art zu
erzählen, die sicherlich Pate stand für Sorrentinos schönen Todesgesang auf
Rom. Bergman beginnt seinen Film mit Aufnahmen des Hafens. Immer wieder blendet
er von einem Bild auf das nächste ohne dabei wirklich Informationen
auszusparen, ein Gefühl für Vergangenheit und Instabilität entsteht ohne, dass
eine Person seinen Film betreten hat. In einem Kinojahr, indem die Ellipse
wieder Kontur bekommen hat im Erzählkino, erscheint es erstaunlich mit welcher
Konsequenz Bergman schon 1953 diesen Ansatz mit Bezug auf Jugend gewählt hat.
Schließlich hatten Filmemacher wie Harmony Korine oder Nicolas Winding Refn
ganz ähnliche Ansätze dieses Jahr, die häufiger mit Robert Bresson als mit
Ingmar Bergman verglichen wurden, aber ihren Ansatz doch sicherlich jenem von
Bergman in „Sommaren med Monika“ entsprechen.
Durch die Verwendung der
schnellen Blenden und der elliptischen, oft kaum merkbaren Sprünge durch die
Zeit entsteht ein traumartiges Gebilde, das jeden Moment zu platzen droht. Ein
Gefühl für eine Fantasiewelt entsteht, in die sich die beiden Protagonisten
flüchten ehe sie mit aller Härte in die Realität zurückgeworfen werden. Nur
Monika-und damit entspricht sie in vielerlei Hinsicht einer Protagonistin des
heutigen Kinos- kann sich nicht trennen von ihrer Jugend, von ihrer
Parallelwelt. Immer wieder sucht sie dabei auch den Spiegel. Bis der Spiegel
zur Kamera selbst wird und Ingmar Bergman beweist, dass man auch elliptisch
erzählen kann, wenn man alles zeigt. Zur berühmten Einstellung, in der Monika in die Kamera blickt, sagte
Jean-Luc Godard einst: “One must see Summer With Monika, if only for the
extraordinary moment when Harriet Andersson, before making love with the man
she has already thrown out once before, stares fixedly into the camera, her
laughing eyes clouded with confusion, and calls on us to witness her disgust at
involuntarily choosing hell instead of heaven. It is the saddest shot in the
history of the cinema." In ihrem Blick sehen wir gleichzeitig alles und
nichts. Es ist als würde der Blick des Regisseurs in die Vergangenheit
verschmelzen mit Monikas Blick. Was am Rande des Bildes stattfindet, wird
unwichtig, obwohl es narrativ essentiell scheint. Später folgt Bergman diesem
Weg weiter. Als der Protagonist nach Hause kommt und Monika mit einem anderen
Mann erwischt, verweigert der Regisseur den Gegenschuss. Wir sehen nur die
Reaktion und müssen uns den Off-Screen denken, können ihn uns vorstellen. Was
wir nicht sehen bewegt uns mehr, als das was wir sehen. Der Schmerz kriecht auf
dem Gesicht des Mannes. Was wir nicht sehen, hat Auswirkungen auf das, was wir
sehen. Das Kino bringt uns diesen Gedanken näher.
Mit größter Konsequenz hat
auch Michelangelo Antonioni diesen Ansatz in seinen Filmen ab „L’aventura“
verfolgt. Was wir nicht sehen konstituiert sein Kino und häufig geschieht das
auf einer räumlichen Ebene. Fluchtpunkte werden versperrt, Szenen spielen sich
hinter dem Rücken der Kamera ab und wer den Film einfach nur betrachtet, wird
sich nicht einfinden können in der Welt. Wahrnehmung ist eben mehr als Sehen.
Das gilt auch und im Besonderen für das Kino. Und damit gewinnt man wieder die
Lust am Sehen.
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