Our beloved month of August von Miguel Gomes ist eine filmische
Explosion. Dieser Film feiert die Freiheit des Filmemachens. Dabei kann
man ihn nicht Reduzieren auf das Vermischen von Dokumentation und Fiktion, denn
dafür sind die Grenzen zu verwaschen. Der Film ist eine Spurensuche, die Suche
nach dem Film selbst, die Suche nach seinen Charakteren, nach seinen
Geschichten. Er mal ein Mosaik und unterwirft sich dabei keinem Konstrukt,
sondern nur der bloße Aufnahmefähigkeit seines sichtbaren Mediums. In fast
schon erschreckend einfacher Weise zeigt er, was Filme auch können außer
Abfolgen von Bildern in eine Handlung zu quetschen.
Grob lässt sich der Film in vier Teile gliedern. Da gibt es
die Geschichte eines Filmemachers, der keine Schauspieler hat und mit seinem
Team in einem Ort herumlungert. Er und sein Team werden von den tatsächlichen
Filmemachern um Miguel Gomes herum gespielt. Der Produzent weiß nicht wie er
mit der Situation umgehen soll, der Tonmeister hört Geräusche, die niemand
sonst hört und die zur Verwunderung des Regisseurs auf seinen Aufnahmen
auftauchen. Weiterhin gibt es die
Geschichte eines Ortes in Portugal beziehungsweise einer Region. Dokumentarisch
wird mit Leuten gesprochen, es geht oft um „Miller“, einen ständig betrunkenen,
jungen Mann, der jedes Jahr zum Carnival von der Brücke im Ort springt. Im am
ehesten als fiktional identifizierbaren Teil geht es um eine inzestuöse
Dreiecksgeschichte, die mit Laien besetzt ist, die fast alle vorher in den
dokumentarischen Szenen zu sehen waren. Der Film vermischt sich hier und man
beginnt die Grenzen zwischen Fiktion und Realität zu übersehen. Ich habe diesem
Film jedes Bild abgekauft. Unterbrochen wird diese Reise von zahlreichen
musikalischen Aufnahmen; Amateurbands, die vor wenigen alkoholisierten Zuseher
portugiesische Liebeslieder zum Besten geben; mal sind es die fiktionalen
Charaktere, die in einer Band spielen, mal sind es tatsächliche Bands oder
einfache Leute bei der Karaoke oder es
kommt zu einer Art Schlager-Battle, in der ein betrunkener Mann dem fiktionalen
Charakter Inzest vorwirft. Es wirkt einfach so unverfälscht.
Das Licht ist meist bunt und billig; grelle Neonfarben,
Bühnenlichter. Am Tag spürt man gleichzeitig die Trostlosigkeit und die
Schönheit des Landes. Portugal wirkt hier echt, keine gestellte Schönheit,
sondern Schönheit, die aus den Abgründen entsteht. In einer weiteren beeindruckenden Szene
sprechen zwei Schauspieler über den Film. Einer ist Laie und erzählt, wie es
ihn fertig macht, dass der Regisseur ständig das Drehbuch verändert. In der
anschließenden Sequenz spielt er dann eine Szene innerhalb der Fiktion (?) des
Films. Reduziert man Our beloved month of August jetzt auf
dieses Spiel zwischen Fiktion und Dokumentation, diese
Cassavettes-Unsicherheit, die dadurch entsteht beim Zusehen, dann übersieht man
die Aufrichtigkeit, die hinter den kleinen Geschichten steht. Der Film
beleuchtet den Prozess eines Filmemachers, seine Suche nach Geschichten und
Gesichtern; Gomes öffnet sich nicht beim Schreiben oder weit vor dem Film,
sondern er schreibt, schneidet und öffnet sich während er filmt.
Diese Art einen Film zu realisieren ist ein hohes Risiko und
verdient den allerhöchsten Respekt. Hier ist der Weg zum Ergebnis ein Teil des Ergebnisses
geworden; es bedarf eines großen Vertrauens der Crew und der Produktion. Es ist
ein kreativer Prozess, in den jeder entscheidend eingreifen wird, eine Reise
eben, die ziemlich ungewiss bleibt. Wenn dann ein derart kohärentes Werk zum
Vorschein tritt, in dem die Teile eben nicht gezwungen alle aufgelöst werden
oder zusammenlaufen, sondern in denen kleine Geschichte für sich stehen und
atmen dürfen, dann ist das eine bedeutende Leistung in filmischer Hinsicht.
Ganz ohne tolle Plansequenzen, sensationelle Bilder und überambitionierte
Charakterzeichnung. Es ist zutiefst europäisches Kino, aber es ist ein Kino,
das Kino hinterfragt.
Außerdem
Hier eine Diskussion unter Kritikern, die The Dark Knight Rises (meist) sehr negativ gegenübersteht, um auch die andere Seite meiner Äußerungen aus der letzten Woche zu beleuchten. Einiges dort halte ich für sinnvoll, die politischen Diskussionen halte ich bei einem Blockbuster für Wichtigtuerei von Kritikern.
Chris Marker ist verstorben. Er war einer der größten Filmemacher. Jeder, der seine Filme Sans Soleil und La Jetée noch nicht gesehen hat, sollte dies spätestens jetzt dringend nachholen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen