Text: Rainer Kienböck
Patrick
Hamiltons Theaterstück „Gas Light“ (1938) wurde innerhalb weniger Jahre zweimal
für den Film adaptiert. Zuerst 1940 von den Briten, die wie so oft Hollywood
zuvorgekommen sind, und vier Jahre später in glamouröserer Manier von George
Cukor mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle. Ein Vergleich bietet sich also an,
drängt sich sogar auf, und zumeist wird Thorold Dickinsons britische Version
schlicht übergangen oder durch Cukors und Bergmans Vermächtnis erdrückt. Da ich
die US-Version nicht kenne, ist diese Rezension wohl eine der seltenen, die
ohne derartige Vergleiche auskommt, obwohl der Film, so viel sei verraten,
keinen Vergleich zu scheuen braucht.
Vorangestellt,
triviale Information: Thorold Dickinson war der erste Professor für
Filmwissenschaft im Vereinigten Königreich. So viel dazu.
Dickinson
mag nicht der profilierteste Regisseur seines Landes und seiner Ära sein und an
manchen Stellen wünscht man sich mehr Raffinesse und Subtilität, aber er
schafft es mit biederem Filmhandwerk ein psychologisches und atmosphärisches
Musterstück zu schaffen. Hier zeigen sich die Stärken des Studiosystems, in dem
ein passabler aber ansonsten unauffälliger Regisseur über seine Grenzen
hinauswachsen kann, wenn er die richtige Crew und geeignete Stoffe zur
Verfügung gestellt bekommt.
An dieser
Stelle komme ich ins Straucheln. Der Begriff „gothic“ schwirrt in meinem Kopf
herum – aber keine angemessene Übersetzung dazu. Im anglo-amerikanischen Raum
versteht man unter „gothic tales“ atmosphärische, viktorianische
Schauergeschichten. „Gaslight“ ist solch ein „gothic tale“, wie z.B. auch
Daphne du Mauriers „Rebecca“ (bekanntlich von Alfred Hitchcock verfilmt) oder
Mary Shelleys „Frankenstein“. Das Konzept der Gothic-Literatur bzw. ihrer
Filmadaptionen imponiert mir: Atmosphärische Geschichten mit starken
psychologischen Motiven und Charakteren, deren mentale Gesundheit im Zwielicht
von Vernunft und Wahnsinn in Frage gestellt wird. In Nebelschwaden gehüllte
Herrenhäuser und manieristisches Dekor. Oft genug bleiben diese Geschichten
dann aber hinter meinen Erwartungen zurück und ersticken an ihrer eigenen,
allzu dichten Atmosphäre.
„Gaslight“
umschifft dieses Problem mit Humor in Gestalt des ehemaligen Kommissars B.G.
Rough (Frank Pettingell), der mit seinem trockenen britischen Humor immer
wieder zur Auflockerung der Stimmung sorgt. Er ist für die Grundstruktur des
Plots verantwortlich indem er auf die neuen Bewohner des Pimlico Square 12
aufmerksam wird. Dort wurde vor Jahren die Patriarchin Alice Barlow ermordet,
vermutlich von ihrem eigenen Neffen Louis. Die frappierende Ähnlichkeit
zwischen dem neuen Besitzer Paul Mallen (Adolf Wohlbrück) und ebenjenem Louis
Barlow führt zu Roughs Beschäftigung mit dem Fall.
Während
Rough seine Nachforschungen anstellt, folgt der Film in erster Linie den
Vorgängen im Inneren des Hauses. Dort wird Paul Mallens junge Frau Bella (Diana
Wynyard) von ihrem Ehemann mittels Psychoterror langsam in den Wahnsinn
getrieben. Paul will sie für verrückt erklären um sie in eine Irrenanstalt
einweisen zu lassen. Er versucht ihr Glauben zu machen, dass sie an wirren
Wahnvorstellungen leide, indem er immer wieder Gegenstände im Haus
verschwinden, in ihren persönlichen Sachen wieder auftauchen lässt und ihre
Erklärungen zu wirren Träumen erklärt. Er hat indessen eigene Pläne: Mit dem
Vermögen seiner Frau hat er dieses Haus gekauft, in dem er, als er noch Louis
Barlow hieß, seine Tante getötet hat um an deren wertvolle Rubine zu gelangen.
Diesen Rubinen, die er damals nicht finden konnte, ist er noch immer auf der
Spur, und da ist ihm seine neugierige Frau ein Stein im Weg, den es zu
beseitigen gilt.
Die
schauspielerischen Leistungen sind in einem psychologisch geladenen Kammerspiel
wie „Gaslight“ von größter Bedeutung und sie retten den Film tatsächlich über
jene Szenen in denen zu einfallslos nach Textbuch inszeniert wurde. Der Verfall
der naiven und verunsicherten Bella wird von Wynyard großartig beschrieben. Ihr
gegenüber wirkt mit Adolf Wohlbrück ein echter Titan. Nach „Gaslight“ ist mir
klar warum das Österreichische Filmmuseum diesem Schauspieler eine
Retrospektive widmet. Wohlbrück vereint kosmopolitischen Charme,
aristokratische Noblesse und taktvolle Sanftmütigkeit mit einer Aura
diabolischer Bedrohlichkeit. Die gesamte Atmosphäre des Films spiegelt sich in
den Zügen und Blicken von Wohlbrücks Paul Mallen/Louis Barlo. Selbst wenn er
lächelt oder seine Frau sanft in die Arme schließt erwartet man im nächsten
Moment einen weiteren Ausbruch. Wohlbrück ist das Epizentrum des Films. Seine
bedrohliche Aura wird durch filmische Mittel noch verstärkt. Die
allgegenwärtigen Gaslichter, die dem Film seinen Namen geben (und wenig subtil
das erste und letzte Bild des Films beherrschen), setzen mit ihren
Schattenspielen Schauspieler und Räume in Beziehung und weiten die
Psychologisierung auf das unbelebte Dekor aus. Die visuelle Gestaltung spiegelt
das psychische Innenleben der Charaktere in unnachahmlicher Weise wieder – das
ist mit Sicherheit die größte Stärke des Films.
Darüber
hinaus handelt es sich bei „Gaslight“ ganz einfach um eine spannende
Geschichte, die einen, wenn richtig inszeniert, in seinen Bann zieht und nicht
mehr loslässt. Der Film kommt dabei ohne große Ideen und Geniestreiche aus,
sondern lebt von seiner Stimmigkeit und Kontinuität, ein Autorenfilm ohne
Autor.