Mittwoch, 7. Mai 2014

Gaslight von Thorold Dickinson



Text: Rainer Kienböck

Patrick Hamiltons Theaterstück „Gas Light“ (1938) wurde innerhalb weniger Jahre zweimal für den Film adaptiert. Zuerst 1940 von den Briten, die wie so oft Hollywood zuvorgekommen sind, und vier Jahre später in glamouröserer Manier von George Cukor mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle. Ein Vergleich bietet sich also an, drängt sich sogar auf, und zumeist wird Thorold Dickinsons britische Version schlicht übergangen oder durch Cukors und Bergmans Vermächtnis erdrückt. Da ich die US-Version nicht kenne, ist diese Rezension wohl eine der seltenen, die ohne derartige Vergleiche auskommt, obwohl der Film, so viel sei verraten, keinen Vergleich zu scheuen braucht.


Vorangestellt, triviale Information: Thorold Dickinson war der erste Professor für Filmwissenschaft im Vereinigten Königreich. So viel dazu.

Dickinson mag nicht der profilierteste Regisseur seines Landes und seiner Ära sein und an manchen Stellen wünscht man sich mehr Raffinesse und Subtilität, aber er schafft es mit biederem Filmhandwerk ein psychologisches und atmosphärisches Musterstück zu schaffen. Hier zeigen sich die Stärken des Studiosystems, in dem ein passabler aber ansonsten unauffälliger Regisseur über seine Grenzen hinauswachsen kann, wenn er die richtige Crew und geeignete Stoffe zur Verfügung gestellt bekommt.

An dieser Stelle komme ich ins Straucheln. Der Begriff „gothic“ schwirrt in meinem Kopf herum – aber keine angemessene Übersetzung dazu. Im anglo-amerikanischen Raum versteht man unter „gothic tales“ atmosphärische, viktorianische Schauergeschichten. „Gaslight“ ist solch ein „gothic tale“, wie z.B. auch Daphne du Mauriers „Rebecca“ (bekanntlich von Alfred Hitchcock verfilmt) oder Mary Shelleys „Frankenstein“. Das Konzept der Gothic-Literatur bzw. ihrer Filmadaptionen imponiert mir: Atmosphärische Geschichten mit starken psychologischen Motiven und Charakteren, deren mentale Gesundheit im Zwielicht von Vernunft und Wahnsinn in Frage gestellt wird. In Nebelschwaden gehüllte Herrenhäuser und manieristisches Dekor. Oft genug bleiben diese Geschichten dann aber hinter meinen Erwartungen zurück und ersticken an ihrer eigenen, allzu dichten Atmosphäre.


„Gaslight“ umschifft dieses Problem mit Humor in Gestalt des ehemaligen Kommissars B.G. Rough (Frank Pettingell), der mit seinem trockenen britischen Humor immer wieder zur Auflockerung der Stimmung sorgt. Er ist für die Grundstruktur des Plots verantwortlich indem er auf die neuen Bewohner des Pimlico Square 12 aufmerksam wird. Dort wurde vor Jahren die Patriarchin Alice Barlow ermordet, vermutlich von ihrem eigenen Neffen Louis. Die frappierende Ähnlichkeit zwischen dem neuen Besitzer Paul Mallen (Adolf Wohlbrück) und ebenjenem Louis Barlow führt zu Roughs Beschäftigung mit dem Fall.

Während Rough seine Nachforschungen anstellt, folgt der Film in erster Linie den Vorgängen im Inneren des Hauses. Dort wird Paul Mallens junge Frau Bella (Diana Wynyard) von ihrem Ehemann mittels Psychoterror langsam in den Wahnsinn getrieben. Paul will sie für verrückt erklären um sie in eine Irrenanstalt einweisen zu lassen. Er versucht ihr Glauben zu machen, dass sie an wirren Wahnvorstellungen leide, indem er immer wieder Gegenstände im Haus verschwinden, in ihren persönlichen Sachen wieder auftauchen lässt und ihre Erklärungen zu wirren Träumen erklärt. Er hat indessen eigene Pläne: Mit dem Vermögen seiner Frau hat er dieses Haus gekauft, in dem er, als er noch Louis Barlow hieß, seine Tante getötet hat um an deren wertvolle Rubine zu gelangen. Diesen Rubinen, die er damals nicht finden konnte, ist er noch immer auf der Spur, und da ist ihm seine neugierige Frau ein Stein im Weg, den es zu beseitigen gilt.


Die schauspielerischen Leistungen sind in einem psychologisch geladenen Kammerspiel wie „Gaslight“ von größter Bedeutung und sie retten den Film tatsächlich über jene Szenen in denen zu einfallslos nach Textbuch inszeniert wurde. Der Verfall der naiven und verunsicherten Bella wird von Wynyard großartig beschrieben. Ihr gegenüber wirkt mit Adolf Wohlbrück ein echter Titan. Nach „Gaslight“ ist mir klar warum das Österreichische Filmmuseum diesem Schauspieler eine Retrospektive widmet. Wohlbrück vereint kosmopolitischen Charme, aristokratische Noblesse und taktvolle Sanftmütigkeit mit einer Aura diabolischer Bedrohlichkeit. Die gesamte Atmosphäre des Films spiegelt sich in den Zügen und Blicken von Wohlbrücks Paul Mallen/Louis Barlo. Selbst wenn er lächelt oder seine Frau sanft in die Arme schließt erwartet man im nächsten Moment einen weiteren Ausbruch. Wohlbrück ist das Epizentrum des Films. Seine bedrohliche Aura wird durch filmische Mittel noch verstärkt. Die allgegenwärtigen Gaslichter, die dem Film seinen Namen geben (und wenig subtil das erste und letzte Bild des Films beherrschen), setzen mit ihren Schattenspielen Schauspieler und Räume in Beziehung und weiten die Psychologisierung auf das unbelebte Dekor aus. Die visuelle Gestaltung spiegelt das psychische Innenleben der Charaktere in unnachahmlicher Weise wieder – das ist mit Sicherheit die größte Stärke des Films.

Darüber hinaus handelt es sich bei „Gaslight“ ganz einfach um eine spannende Geschichte, die einen, wenn richtig inszeniert, in seinen Bann zieht und nicht mehr loslässt. Der Film kommt dabei ohne große Ideen und Geniestreiche aus, sondern lebt von seiner Stimmigkeit und Kontinuität, ein Autorenfilm ohne Autor.

Montag, 5. Mai 2014

The Strange Beauty of Underwater

Bilder: Ioana Florescu
Text: Patrick Holzapfel


Das Wasser fliegt auf dich zu
Das Wasser fliegt auf dich zu
Es fliegt an dir vorbei
Und dann bist du draußen

Days of Heaven von Terrence Malick
The Night of the Hunter von Charles Laughton

Das Wasser fliegt auf dich zu
Das Wasser fliegt auf dich zu
Es fliegt an dir vorbei
Und dann bist du draußen

Sympathy for Mr Vengeance von Park Chan-wook



Augen blinzeln im sauerstoffarmen Wasser, sie erzeugen kleinen Wellen, die ich nicht sehe. Alles schwebt und schwimmt, der Druck um meine Ohren erzeugt eine Leere, die mich füllt. Öffne deine Augen Wasser. Ein Schwall flutet den Projektionsraum.Ich werde in den Kinosaal geschwemmt. Dort klingt alles anders, alles sieht anders aus. Dennoch kann ich es erkennen.

Beau travail von Claire Denis

Bird of Paradise von King Vidor


In the Tropical Seas von Carl Louis Gregory


Der Schall Gottes wird verschluckt. Die Zeit scheint langsamer zu laufen, halluzinierende Schwerkraft, eine zähe Masse, sie hat keine Farben, nur Druck.


Was ist mit meinem Blick? Ist er verstört? Geschwind muss ich die Augen schließen. Es gibt keinen Ausweg aus dieser Dunkelheit. Wie lebendig gewordene Statuen bewegen sich die mystischen Objekte unter Wasser, sie sind vergessen, verloren und doch leben sie in der Zeit. Das Wasser verändert sie, es verändert meinen Blick auf sie.   

Crocodile von Kim Ki-duk

Trainspotting von Danny Boyle


Also muss man schwimmen.

Swimmer von Lynne Ramsay

Swimmer von Lynne Ramsay
 
Undine schläft mit mir.
Wie kann es sein (mit mir),
dass alles sich auflöst
und nichts zu berühren ist,
wenn Undine mit mir schläft
in einer unscharfen Seele
unter Wasser
ist nichts, außer dem Blut
von Undine und mir
es brennt (im Kino an der Straßenecke)

Patrick von Richard Franklin
Ich baue ein Kino unter Wasser. Man ertrinkt während man die Bilder sieht. Alle schreien, aber nichts ist zu hören. Die Leinwand verschwimmt. Die Farben darauf sind Wasserfarben. Und dann habe ich mein Kino unter Wasser gebaut. Die Sessel fliegen durch den Raum, die Menschen auch. Der Projektor ist an einen Stein gebunden. Der Lichtstrahl des Kinos ist wie ein Stern für alle die ertrinken und in meinem Kino landen.

Le scaphandre et le papillon von Julian Schnabel

Mélodie en sous-sol von Herni Verneuil

L'Atalante von Jean Vigo
Hören wir ihren Gesang über dem Wasser? Die Sirenen des Kinos? Ein Gesang, der über das Kino hinausgeht, den wir nach Hause nehmen, den wir im Wasser selbst empfinden. Wenn das Kino wie Wassertropfen an uns trocknet, wenn wir es verlassen haben. Wenn wir uns nass fühlen, obwohl wir im Trockenen sind. Wann können wir wieder ins Wasser springen ohne Angst zu haben? Wann können wir ins Kino tauchen?

The Graduate von Miche Nichols

Sunset Boulevard von Billy Wilder

Under the Skin von Jonathan Glazer


Eine vertrocknete Nymphe hechelt am Strand. Jemand träumt als er stirbt. Man träumt, wenn man im Wasser stirbt. Vielleicht muss man im Kino sterben. In der ersten Reihe nah an den Bildern. Man sollte im Kino sterben.

The Piano von Jane Campion

The Piano von Jane Campion



Und plötzlich ist alles wieder echt. Wenn man akzeptiert nie wieder aufzutauchen, wenn sie eine Realität unter Wasser findet, die alles verschluckt. Das Kino dringt dann durch Ohren, Mund und Nase in unsere Lungen, wir platzen mit dem Kino. Am Grund des Meeres gibt es noch etwas zu entdecken. Wer will dort suchen? Wer will noch suchen? Wer sucht in der Dunkelheit, um Licht zu finden?

The Thin Red Line von Terrence Malick
Lung Bunmi raluek chat von Apichatpong Weerasethakul