Dienstag, 11. März 2014

Die Liebe im Kino von Wong Kar-Wai



In den ungewöhnlichen Einstellungen, die Wong Kar-Wai, in seinen bislang zehn Langfilmen findet, herrscht Konfusion, Freiheit und Gefühl. Der komplette Look seiner Filme kann sich von einer Sekunde auf die nächste ändern. Es gibt eine ganz eigene Konsistenz in einem Film von Wong Kar-Wai, eine die dem Zuseher ein ästhetisches Empfinden vorschlägt, auf das dieser sehr leicht aufspringen kann und in das er sich verlieben kann, mit dem er sich identifizieren kann. Sein langjähriger Kameramann Christopher Doyle flucht in seinem Tagebuch zu „Happy Together“: „I don’t want realistic images, I want poetic images!“.  Wie in einem Labyrinth müssen Crew und Schauspieler in vielen Filmen den spontanen und impulsiven Einfällen eines Regisseurs folgen, der vielleicht eine Struktur im Kopf hat, wahrscheinlich diese aber erst im Schnitt findet und selbst dann ist Struktur nicht strukturiert, sondern voller Leben und Spontanität. Die Idee erwächst aus einzelnen Bildern und vor allem Songs. Lieder, die das Kino des Hongkong-Regisseurs so sehr prägen. Yo me muero por tu amor. Vielleicht gibt es wenige zeitgenössische asiatische Filmemacher, über die so viel geschrieben wird wie über Wong Kar-Wai. Das könnte daran liegen, dass seine Filme die subjektiven Erfahrungswelten der Filmkritiker und Autoren hervorrufen, die versuchen zu greifen, was man im Film und im Kopf so schwer zu greifen vermag. Es bereitet eine ungeheure Freude über die starbesetzten Filme zu schreiben, man fühlt sich angesprochen und möchte sich ausdrücken. Die Spiegel in seinen Filmen weisen nicht nur auf Eleganz und Oberflächlichkeit der Figuren hin, sondern auch immer auf den Film und den Zuseher selbst. Eine Rahmung bei Wong Kar-Wai ist kein Gimmick, sie ist Wesen seines Kinos, einer verschachtelten Wahrnehmung, in der sich Poesie in den kleinen Spalten öffnet, die zwischen der blockierten Sicht entstehen, die Realität als Traum begreifen. 
 

Leslie Cheung kündigt in „Days of Being Wild“ der schüchternen Soft Drink Verkäuferin gespielt von Maggie Cheung an, dass er in ihren Träumen vorkommen wird. Er jagt auch die Träume von Tony Leung in „Happy Together“. Träume und Erinnerungen, die spätestens in „2046“ verschwimmen. I’ve heard that there’s a kind of bird without legs that can only fly and fly, and sleep in the wind when it is tired. The bird only lands once in its life… that’s when it dies. Alles fliegt und schwebt und ist möglich. Zeitungen wenden sich auf Motorhauben, Menschen tanzen und töten, ein Flugzeug fliegt durch ein Zimmer, eine Zigarette wird vom Feuer der Augen alleine angezündet. Dabei sollte man genau zusehen, denn vielleicht passiert die entscheidende Berührung, der entscheidende Blick immer dann, wenn man es nicht erwartet. 
 

Im Zentrum fast aller seiner Filme und sicherlich aller seiner besseren Filme steht die Liebe. Man muss vorsichtig sein mit diesem Wort, aber sicherlich nicht bei Wong Kar-Wai. Er zeichnet Liebe in ihrer ganzen romantischen Konnotation und Grausamkeit. Auffällig dabei ist, wie der Regisseur Liebe als zeitliches Element begreift, wie sich die ganze zeitliche Struktur seiner Filme über ihre Romantik definiert und wie so das eigentlich herrschende Chaos zu einer Art Linearität und Chronologie gebracht wird. Der Grundstoff von Filmen ist Zeit und jener der Filme von Wong Kar-Wai ist die Liebe. Es liegt also äußerst nahe, dass in „Chungking Express“ über das Ablaufdatum einer Liebe sinniert wird. Wie ist das Verhältnis von Zeit und Liebe? Dieser Frage gehen fast alle Filme von Wong Kar-Wai nach. In „2046“ überwältigt die Trauer, der Verlust einer gescheiterten und unmöglichen Beziehung, von der in „In the mood for love“, einem Film, der seine romantischen Augenblicke an bestimmten Tagen im Jahr festmacht, eine Strukturierung der Liebe, zu der Wong Kar-Wai immer wieder zurückkommt. erzählt wird. Liebe könnte hier eine Erinnerung sein, Liebe könnte eine Dystopie sein, sie scheint aber auf keinen Fall an die Gegenwart gebunden. Eigentlich müsste man genauer schreiben, dass Liebe bei Wong Kar-Wai nicht an der Zeit hängt, sondern an der verlorenen Zeit. Diese läuft eben ab.  “Love is all a matter of timing.”, heißt es in “2046”. Kein Wunder, dass sich das Liebespaar in “Fallen Angels” in einer zeitlichen Verschiebung kennenlernt, einem „am selben Ort zu unterschiedlichen Zeiten sein und dabei die Präsenz des Partners spüren“.


In “Chungking Express” müssen gerade mal sechs Stunden vergehen bis aus einer Intimität mit einem Mann, eine Liebe zu einem anderen Mann entsteht. Dagegen scheint es in „Ashes of Time“ unmöglich zu vergessen, weil die Erinnerung, wie ein Geheimnis, das wir in einen Felsen sprechen eben nicht stirbt. Das ist die melancholisch-romantische Rettung für Wong Kar-Wai, der seine Liebe mit Zeit zerstört und dann in der Zeit konserviert. In „Days of Being Wild“ kann eine Minute alles verändern. Man kann sich in ihr verlieben oder in ihr Liebe vergessen. Was ist diese Minute? Ich denke dabei an Ingmar Bergmans „Vargtimmen“ und wie man eine Minute erleben muss, darf und soll. Das Ablaufen der Zeit ist bei Wong Kar-Wai ein Verlaufen der Gefühle. Gleichzeitig aber eine Art Karte, die durch das Labyrinth seiner emotionalen Bilder führt, denn wenn Zeit so sehr zersetzt und zersetzt wird, dann müssen mit ihm auch die Räume zerfließen, wie die Iguazú-Lampe in „Happy Together“ oder die nassen Fensterscheiben in „My Blueberry Nights“. 


„Wir könnten es nochmal versuchen“, sagt Leslie Cheung. Was heißt nochmal? Bei Wong-Kar Wai kann das nicht für immer heißen, es kann auch nicht in Zukunft heißen, nochmal heißt immer jetzt in dieser Sekunde. In sekundenlangen Blicken, nur von Zeitlupen und Walzertönen spürbar gemacht in „In the mood for love“ herrscht die absolute Gegenwart, die sich vor den Augen des Zusehers und der Protagonisten im Moment ihrer Entstehung verflüchtigen. Es ist als würde uns der Regisseur sagen, dass Liebe in Momenten entsteht, in denen sie schon wieder vergangen ist. Liebe ist ein hypnotischer Zustand in seinem Kino. We overcome in sixty seconds with the strength we have to together. But for now, emotional ties, they stay severed. Die Zeitlupensequenzen, die Vordergrund und Hintergrund in unterschiedlichen Geschwindigkeiten wiedergeben, sind nicht nur ein stilistisches Markenzeichen der Filme, sondern auch ihr Herzschlag, denn die Liebe und Zeit in den Filmen unterliegt auch immer einer subjektiven Wahrnehmung, die je nach Pulsschlag des Zusehers verschieden wahrgenommen wird. Wenn Film eine Form der Wahrnehmung ist und Zeit dafür essentiell ist, dann ist die Wahrnehmung bei Wong Kar-Wai, die eines oder mehrerer Liebender. Sie ist durchzogen von kräftigen Farben, von Helligkeit und Dunkelheit, sie ist in jeder Sekunde immer völlig auf ein inneres Gefühl gerichtet.


Aber man muss ehrlich sein. Die Figuren bei Wong Kar-Wai sind meist alleine, sie sind eitel und ich-bezogen, sie sind grausam und einsam. Seine Liebe besteht selten aus Nähe und Ehrlichkeit, sondern meist aus Melancholie und Sehnsucht, im Endeffekt aus Schmerzen. Hinter dem romantischen Ansatz seiner träumerischen Farben und Figuren versteckt sich die Hoffnungslosigkeit eines fatalen Ideals, einer Romantik, die nie zur Vollendung kommen wird. Wenn es bei Gaspar Noé heißt: „Die Zeit zerstört alles“, dann heißt es bei Wong Kar-Wai „Die Liebe zerstört alles“.


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