Sonntag, 12. Januar 2014

Martin Scorsese-Regisseur



Wie eine Explosion beginnt die Kamera sich durch die Räume auf die Charaktere zu fokussieren, in schnellen, rhythmischen Fahrten geht es um die Figuren herum, auf sie zu oder hinter ihnen her. Dazu drängen aus den Boxen pure Rock’n Roll Klänge und ein unheimlich getriebener Schnitt passt sich dem Rhythmus, der vor Farben platzenden Bilder an. Die Filme von Martin Scorsese bieten jenseits aller gängigen Diskussionen über Kunst oder Unterhaltung einen pulsierenden Zugang zum Kino, der sich in seiner ehrlichen Liebe für das Medium und den Möglichkeiten seiner klassischen amerikanischen Form durch mehrere Jahrzehnte am Leben erhält und immer wieder neue Klassiker schafft. Im Grunde kann man Martin Scorsese nicht in einem solchen Blogeintrag behandeln, zu umfangreich ist sein Schaffen, zu gewaltig ist sein Einfluss. Dennoch will ich mich ein wenig mit der Faszination Scorsese beschäftigen, der egal, ob er Rebell oder Konformist ist, immer seine eigene Handschrift behalten hat. Die Essenz des Kinos von Martin Scorsese findet sich meiner Meinung nach in fünf Punkten:

 
Charaktere-Ehrgeiz, Wahnsinn, Flucht

Musik-Rock gegen die Erwartung

Tempo-Exzess, Kamera, Schnitt

Gewalt-Freude, Erlösung

Kinoliebe

1.Charaktere


Bei den Charakteren von Scorsese ist zu Beginn festzuhalten, dass sie häufig von den gleichen Schauspielern gespielt werden. Angefangen bei Harvey Keitel, der schon das emotionale Zentrum in „Who's That Knocking At My Door“ gibt und dann von „Mean Streets“ über „Alice doesn’t live here anymore“ bis zu „Taxi Driver“ immer gefährlicher und pervertierter wird, bevor er konsequenterweise den von der Bibel abweichenden Judas in „The Last Temptation of Christ“ gibt. Keitel ist allerdings nur eine erste unschuldige Liebe für Scorsese, denn schon in „Mean Streets“ neigt sich der Blick des New Yorkers mit italienischer Abstammung in das unberechenbare Little Italy Wesen von Robert de Niro. Es schien als wäre Keitel ein Alter Ego von Scorsese gewesen und hätte sich von ihm entfernt, wäre zur reinen Bedrohung geworden, während De Niro etwas zu verkörpern schien, dass Scorsese von außen kannte, von den Beobachtungen seiner Kindheit und dass er mit solcher Faszination betrachtete bis er es selbst wurde. De Niro rastet oft aus. Er zertrümmert eine halbe Telefonzelle in „Goodfellas“, er schmeißt Sharon Stone mit brutaler Aggression aus der gemeinsamen Wohnung in „Casino“ und er schießt eben jenem Harvey Keitel lächelnd in den Bauch bevor er alles über den Haufen schießt in einem Blutbad nachdem er seinen Fernseher vom Tisch gestoßen hat. Manchmal schlägt er mit seinem Kopf gegen die Wand bis einem selbst fast schlecht wird. De Niro ist eine Naturgewalt bei Scorsese. Ein Mann, der immer etwas unter seiner Oberfläche versteckt, etwas das aber ständig unter den Blicken der Kamera zum Vorschein kommt. Wahnsinn, Gewalt, Eifersucht. In Scorseses Remake von „Cape Fear“ ist De Niro überzeichnet zerfressen von diesen Gefühlen. Immer wieder greift Scorsese auf eine Einstellung zurück, die nur das nervöse Blinzeln der Augen seiner Figuren zeigt. Von Nicolas Cage und seiner Schlaflosigkeit in „Bringing Out The Dead“ bis zum Taxi Driver und seinen Gewaltneigungen werden so tickende Zeitbomben unter der Haut spürbar. Kleine Ticks und Gesten bestimmen die Erscheinungen. Immer wieder greifen sich Scorsese-Figuren an den eigenen Hals, ziehen an der eigenen Nase oder räuspern sich. In „The King of Comedy“ ist De Niro einer jener klassischen Scorsese Figuren. Er will unbedingt und mit allen Mitteln etwas aus sich machen, etwas werden, eine Karriere machen. Krankhafter Ehrgeiz spiegelt sich auf den Scorsese-Gesichtern. Und ihnen ist jedes Mittel Recht bis sie sich selbst im Spiegel erkennen wie De Niro als Jake LaMotta, für den sich der Schauspieler ein extremes Gewicht angefressen hat oder bis sie völlig mit ihrem Ziel verschmelzen wie De Niro in „Taxi Driver“ als er vor dem Spiegel sein Attentat durchspielt und seinen schizophrenen Neigungen folgt. Ein Gangster folgt bei Scorsese immer seinen eigenen Gesetzen. Er sieht in seinen Verbrechen die große Chance etwas aus seinem Leben zu machen, aus dem Alltag auszubrechen und berühmt, unabhängig und reich zu werden. Sie trainieren dafür, sie riskieren dafür und sie haben keine Furcht. Dazu gehört auch immer eine Show, um es sich selbst und allen zu zeigen. 


Doch plötzlich verkehrt sich diese Welt. Die Figuren haben sich ihr eigenes Gefängnis aufgebaut, das sich gegen sie wendet. Wenn Henry Hill in „Goodfellas“ aus seinem paranoiden Kokain-Wahnsinn flüchtet oder wenn Paul in „After Hours“ endlich wieder in die Arbeit geht, dann wird klar, dass sie aus dem Leben, das sie sich so sehr gewünscht hatten, entkommen müssen. Scorsese beginnt häufig in der Kindheit seiner Protagonisten. Er scheint die Frage zu stellen: Woher kommen diese Krankheiten? Doch diese Kindheit wirkt merkwürdig fremd, wie ein Zauberland („The Wizard of Oz“ Anspielungen inklusive), er hüllt sie in verfremdete Farben, zeigt sie als Abseits der eigentlichen Realität an. Die Kindheit als Traum einer Unschuld, als wahre Zeit der Unschuld, in der unbewusst die ersten Spuren für Kriminalität und Wahnsinn getroffen werden. So verkehrt sich die übermäßige Sorgsamkeit der Mutter in „The Aviator“ in die schlimmen Neurosen des Howard Hughes und die ersten Kontakte mit dem Verbrechen in „Goodfellas“ und „The Departed“ werden zum lebenslangen Fluch und Segen. Damit sind wir auch schon bei der bis dato letzten großen Liebe von Martin Scorsese angekommen: Leonardo DiCaprio. Der Perfektionstrieb, der schon in der Zusammenarbeit mit De Niro ein Markenzeichen war, ist mit DiCaprio auf dem Gipfel angelangt. Dieses bedingungslose Streben nach Wahrheit und Perfektion ist nicht nur den Filmemachern gemein, sondern auch den Charakteren. Die DiCaprio Figuren erbauen sich immer ein eigenes Ideal und beginnen langsam daran zu zerbrechen. Es scheint ganz natürlich zu sein, dass dieser Scorsese-Held nicht alle Filme überlebt. In „Shutter Island“ ist es gar die gesamte Realität, die vor den Augen von DiCaprio verschwindet. Es ist als würden die beiden immerzu auf Wolken warten, den Wolken hinterher reisen, damit sie ihre perfekten Momente und Szenen gewinnen. Die Stoffe werden historischer, die Charaktere von Scorsese basieren auf echten Menschen, auf Vorbildern. 


Sie leben oft in der Vergangenheit und das Bedauern hat sich in Form einer Melancholie in sie eingeschrieben. Kein Wunder, dass sich Scorsese in „The Color of Money“ der filmgeschichtlichen Vergangenheit selbst widmet, indem er Fast Eddie Falson wieder auf die Leinwand wirft. Mit DiCaprio werden die Beziehungen zwischen Mann und Frau zwar nicht weniger krankhaft, aber zumindest gelingen sie kurzzeitig. Im Gegensatz zu Scorseses De Niro und Keitel kann DiCaprio einer Frau gerade ins Gesicht schauen. Aber was ist mit den Frauen im Kino des Martin Scorsese? Es scheint als wären sie ebenfalls völlig verrückt oder unberührbar oder beides. Was für Sandra Bernhard in „The King of Comedy“ gilt, gilt genauso für Sharon Stone in „Casino“, Cate Blanchett als Katharine Hepburn in „The Aviator“ oder Rosanna Arquette in „After Hours“: Extravaganz, ein Schuss Verrücktheit und Unberechenbarkeit und der männliche Scorsese-Held ist begeistert. Aus der Sicht der Frau hat Scorsese wenige Filme gemacht. Unter seinen Langfilmen findet sich nur „Alice doesn’t live here anymore“ mit einer wunderbaren Ellen Burstyn. Damit lässt sich vielleicht eines mit Sicherheit über die Charaktere von Martin Scorsese sagen: Sie sind männlich.

2.Musik


Irgendwann spielen meistens die Rolling Stones. In Bars, in Flashbacks oder auf ihren eigenen Konzerten. Scorsese erreicht drei Dinge mit seiner Musik. Er spielt sie im Bezug zur Emotion seiner Figuren, er erweckt eine Zeit zum Leben und er bricht mit Konventionen in der Darstellung von Gewalt. Wenn sich bei Scorsese jemand verliebt, dann ist ein Liebeslied zu hören. Von „Love is Strange“ bis zu „And Then He Kissed Me“ wird dabei eine klassische Überhöhung und eine gewisse Leichtigkeit des Verliebens impliziert. Die Bilder beginnen sich mit der Musik zu bewegen. Sie werden langsamer oder schneller, ein Lächeln oder eine Berührung werden musikalisch aufgefangen, das Kino von Scorsese ist ein einziges großes Musical. Und dann fährt er wieder auf die Gesichter in Zeitlupe und zeigt mit Hilfe der Musik die Figuren selbst an. Ihre Sehnsüchte, ihre Krankheiten. Tom Cruise tanzt Pool zur Musik von Warren Zevon. Scorese hat Musiker portraitiert wie George Harrison oder Bob Dylan und er hat Konzertfilme gemacht wie eben „Shine a Light“ oder „The Last Waltz“ (This film should be played loud). 


Immer wieder sind in seinen Filmen auch kurze narrative Pausen für die Musik. Die Kamera ruht auf Sängern oder Straßenmusikern und zeigt ihr Spiel. Damit schafft Scorsese ein Gefühl für Raum und Zeit. Fast dokumentarisch wählt er die Soundtracks der jeweiligen Dekaden. Man merkt ihm die Freude am Zuhören förmlich an. Niemand könnte das Cocoanut Grove beeindruckender zum Leben erwecken als der musikalische Scorsese in „The Aviator“, der Zeitgefühl mit musikalischem Gefühl verbindet und für den Mise-en-scène und Schnitt, Kamerabewegung und Spiel immer Teil einer musikalischen Komposition zu sein scheinen. Doch mit dieser Harmonie bricht er, wenn es um Verbrechen und Gewalt geht. Interessante Zwischenräume spalten sich auf, wenn „Layla“ von Derek and the Dominos eine Montagesequenz mit Leichen begleitet, eine Ironisierung des amerikanischen Traums, der sich durch das gesamte Werk von Scorsese zieht. Manchmal weicht Scorsese von seiner schier endlosen Jukebox aus auf orchestrale Themen wie das Camille-Thema aus „Le Mépris“ oder die „Cavalleria Rusticana“ in „Raging Bull“ mit der er die ganze Anmut und Eleganz des Boxsports unter seine Titel bringt, mit der er in einem Bild seinen ganzen Film erzählt, der seinen Protagonisten in einem Ring gefangen hält als wäre es ein Zirkus bei Rilke, der nicht aus seiner Welt ausbrechen kann und der Fehler macht, aber der von Größe und Schönheit ist.

3.Tempo


Wer Martin Scorsese schon mal beim Reden bewundert hat, der weiß, dass dieser Mann wie ein Wasserfall spricht. Egal ob in Dokumentationen wie „Italianamerican“ oder in einem Spielfilm wie „Taxi Driver“, egal ob bei Dankesreden, in Interviews oder bei seinen filmischen Reisen durch die Filmgeschichte. Scorsese redet gut und viel und nach eine These des speziellen Peter Kubelkas, die man auch bei August Wilhelm Schlegel in der Aufklärung finden kann, bestimmt der innere Takt, also der Herzschlag, der Sprechrhythmus, die Geschwindigkeit beim Gehen und so weiter den Takt und die Geschwindigkeit der Kunst selbst. Im Fall von Martin Scorsese heißt das Thelma Schoonmaker (seine Stammcutterin), das heißt das Bam Bam Bam…Jump-Cuts, Freeze-Frames, irre Verfolgungsfahrten, Kranaufnahmen, Voice-Over Speed Narrating, Zoom-In, Zoom-Out, Cache, Continuous-Montage Orgien. Die Leichen purzeln nur so durch die Filme und irgendwie entspricht der nervöse Stil von Scorsese auch seinen Charakteren, die sich ja auch des Öfteren am Rande des Nervenzusammenbruchs befinden. Aber diesen Stil lediglich als nervös zu bezeichnen, wäre ungerechtfertigt, denn dafür ist er zu virtuos durchkomponiert. Es scheint als würde Scorsese häufig das Kino selbst beschwören, indem er einen Exzess der filmischen Mittel durchprobiert. Dabei beginnt sich die zeitliche Wahrnehmung vor dem Auge des Betrachters aufzulösen. Scorsese kann riesige Zeitspänne und winzige Spänne gleich groß erscheinen lassen. Die Nacht in „Bringing Out The Dead“ entspricht in etwa den Jahrzehnten in „Goodfellas“. 


Offensichtliche Flashbacks muss Scorsese genau deshalb derart übersignalisieren wie in „Shutter Island“, weil sonst niemand daran denken würde, dass es einen Flashback gibt. Das gilt übrigens nicht nur für die erzählte Zeit, sondern auch für die reale Zeit. Ein Scorsese Film wirkt unabhängig seiner Länge immer gleich dicht. Es passiert zu viel und man wird bombardiert mit visuellen Eindrücken. Mal sind es jene Kranfahrten durch opulente Gebäude, die ihn nahe an das visuelle Empfinden der Blockbuster-Generation um Steven Spielberg bringen, mal sind es künstlerische Schwenks und Spielereien. Man weiß nicht so recht, wo man ihn greifen kann. Die 360 Grad-Fahrt um Paul Newman in „The Color of Money“ beschreibt das visuelle Tempo von Scorsese vielleicht am besten, denn hier bewegt sich zugleich alles und nichts. Es ist ein inneres Bild, das mit äußeren Mitteln wie eine Handlung erscheint. Ähnliches gilt für die berühmte Verfolgungskamerafahrt in „Goodfellas“. Alles ist überfordernd und im Kern ist es doch genau das was zählt. Der äußere Glanz, der die Figuren korrumpiert.  Für Scorsese scheint das Kino manchmal noch immer in sich eine Attraktion zu sein. Das zeigt er auch in „Hugo“, in dem er 3D einsetzt wie ein kleines Kind und mit den einfahrenden Zügen ein passendes Bild für sein eigenes Filmschaffen findet. Dann erschrickt man fast, wenn man die Ruhe in „Kundun“ oder „The Age of Innocence“ spürt, denn Scorsese scheint durchaus in der Lage sich zu drosseln.

4.Gewalt


Ist die Gewalt bei Scorsese nun eine folgenlose Comicgewalt oder ist sie im Kern dem moralischen Urteil des Regisseurs unterzogen und wird als bedrohlich und folgenschwer dargestellt? Zunächst sollte festgehalten werden, dass Scorsese in ganz klassischer amerikanischer Tradition Verbrechen nicht belohnt. Im Klartext heißt es, dass irgendwann Menschen umgebracht werden, wenn sie Verbrechen begehen. Dennoch entfalten sich oft ein Gewaltrausch und eine Identifikation mit dem Verbrechen. Seit ich „Goodfellas“ gesehen habe, wollte ich ein Gangster werden. Von den Schlachten in „Gangs of New York“ bis zu der Racheorgie in „Taxi Driver“ fällt nicht nur die extreme Ästhetik der Gewaltszenen auf, sondern auch wie sehr man darin den Protagonisten folgt und wie man sich wünscht, dass die oft blutigen und unmoralischen Taten gelingen. In anderen Filmen führt Gewalt zu Lachen, auch Drogen und Alkohol machen Spaß. Scorsese ist ein Kind von New Hollywood, der nicht anders kann. Und das ist gut so. Zum einen wird die Gewalt nie unreflektiert eingesetzt, sondern immer in einem paradoxen Verhältnis zum American Dream. Korruption und Macht, Sexismus und Rausch sind immer zugleich Himmel und Hölle, Verlockung und Angst. Dabei kommt auch die religiöse Ebene ins Spiel, die nicht zuletzt Georg Seeßlen als das Charakteristikum für das Kino von Scorsese identifiziert hat. Denn in der Gewalt liegt auch so etwas wie eine religiöse Erlösung und darin findet sich ein weiteres Paradox. Vom reinen Spaß am Blut eines trashigen Robert Rodriguez ist Scorsese himmelweit entfernt. 


In den individuell gestalteten Idealen der Scorsese-Figuren schaut Gott manchmal hin und manchmal weg. Es muss erst eine Art Leidensweg bestritten werden, eine christliche Passion, die eben gewaltvoll ist. Die Schusswechsel, Explosionen und Waffenspielereien sind Notwendigkeiten einer verblendeten Weltsicht. Diese Weltsicht wird aber oft subjektiv wiedergegeben.  Der scheinbar neutrale, realistische Stil wird von der Freude an der Brutalität durchbrochen. Aber diese Brutalität bricht nur heraus, weil sie von Anfang an in die Figuren oder ihr soziales Umfeld eingeschrieben ist. Es sind Ellenbogengesellschaften und sie funktionieren nach alttestamentlichen Ordnungen. Dabei unterscheidet er nicht zwischen Kleinganoven, kriminellen Syndikaten oder scheinbar legalen Unternehmen. Bei Scorsese ist der Kapitalismus ein tatsächliches Schlachtfeld. Und am Ende geht man in die Kirche und betet für seine Sünden. Es ist ein sinnloses Unterfangen, aber es ist ein verständliches, denn nur für sich selbst agieren die katholischen Figuren und nur für sich selbst, das heißt für Gott. Zum anderen ist Scorsese ein dem post-klassischen Genrekino zugewandter Regisseur. Er bewegt sich gerne innerhalb der Genres, die eine solche Gewaltvorstellung zum Teil verlangen (Gangsterfilm, Psychothriller usw). Kein Wunder, dass er auch im Fernsehen mit „Boardwalk Empire“ damit arbeitet.

5.Kinoliebe



Damit sind wir auch schon beim letzten essentiellen Begriff zur Umschreibung der Filme von Martin Scorsese: Der Kinoliebe. Wer Scorsese für seine jüngeren Hollywoodarbeiten verkennt, der begeht meiner Ansicht nach einen großen Fehler, denn selbst in Autorenzeiten, in denen sicherlich die wertvollsten und persönlichsten Filme seiner Karriere entstanden sind, war Scorsese ein Kind und ein Verfechter des amerikanischen Kinos. Seine Filme sind in der amerikanischen Gesellschaft angesiedelt, zumeist behandeln sie gesellschaftliche Themen. Scorsese ist an größeren Budgets interessiert, er braucht sie für seine Visionen. Schon „New York, New York“, ja selbst „Alice doesn’t live here anymore“ sind Filme, die Studios der klassischen Ära vermutlich angenommen hätten. Die Kinoliebe von Scorsese ist eine aufrichtig kommerziell orientierte Liebe. Das bedeutet nicht, dass er nicht wie in „Kundun“ oder auch „Hugo“ über den Tellerrand blicken würde. In „Hugo“ setzt er äußerst intelligent den Beginn der kinematografischen Geschichte gegen den erneuten Beginn des 3D-Hypes. Neben der Verwendung von Filmmusik und den direkten Filmzitaten beziehungsweise Remakes („Cape Fear“) und Sequels („The Color of Money“), hat Scorsese mit „The Key to Reserva“ gar eine handwerklich perfekte Hitchcock-Hommage gedreht. Dabei verfilmt er für einen Werbespot ein fiktionales Hitchcock-Drehbuch mit den Mitteln des Meisters, die er in Perfektion imitiert. Auch bemerkenswert sind seine “A Personal Journey with Martin Scorsese Through American Movies” und “My Voyage to Italy”, in denen er seiner Lust an Filmvermittlung nachkommt und den Zuseher auf eine persönliche Reise durch die amerikanische beziehungsweise italienische Filmgeschichte mitnimmt. Sein Engagement und seine Arbeiten im Bereich der Filmrestaurierung und Filmvermittlung sind erstaunlich und einen eigenen Blogeintrag wert. In jeder Sekunde atmet Martin Scorsese Kino. Michael Ballhaus hat vor einigen Jahren in einem Interview mit dem bayerischen Rundfunk erzählt wie aufgeregt Scorsese vor „The Departed“ war, als er erfuhr, dass er nun mit Jack Nicholson zusammenarbeiten würde. Unabhängig von seinen letztlichen Werken muss Martin Scorsese weiterhin ein Vorbild für jeden Filmemacher sein. Die Art und Weise in der er seine künstlerische Integrität innerhalb eines zerfressenden Systems bewahrt, in der er für das Kino an sich einsteht und eine unheimliche Vielfalt an Werken und Projekten realisieren konnte, die unschuldige Liebe zum Medium und die bodenständige Suche nach den besten Möglichkeiten Kino zu machen, sind einzigartig. Dabei behält sich Scorsese einen ganz eigenen Ehrenkodex bei und das ist der des Kinos selbst. Vielleicht ist manches davon geschickt konstruiert, aber dennoch bleibt er ein Vorbild.  


Enden möchte ich den Eintrag mit einer weiteren Figur im Kino von Martin Scorsese. Seiner Mutter. Wer dieser Frau in „Italianamerican“ beim Kochen zugesehen hat und sie dabei beobachtet hat wie sie den Gangstern in „Goodfellas“ Essen macht und wer ihr beim Reden zugehört hat, wer sie immer wieder in den Filmen von Scorsese gesehen hat, der weiß, dass Catherine Scorsese Ausdruck der Persönlichkeit, des Realismusstrebens, der Einfachheit und Ehrlichkeit genauso ist, wie des Unterhaltungsdrangs, des freudigen Wahnsinns und der Massenliebe in den Filmen eines der größten Regisseure in der Geschichte des Films.

und weiter gehts:


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