Montag, 23. Dezember 2013

Visconti before Christmas: Bellissima



In meiner dritten Visconti-Besprechung beschäftige ich mich mit seinem dritten Langspielfilm „Bellissima“ aus dem Jahr 1951. Nach „Ossessione“ und „La terra trema“ betrachtet Visconti darin deutlich weniger subtil zwei konträre Welten. Auf der einen Seite eine Arbeiterfamilie, in deren verbales und pochendes Zentrum er die große Frau des Neorealismus, Anna Magnani stellt und die Welt der Cinecittà, das große italienische Filmstudio, wo Träume verkauft und unsensible Entscheidungen getroffen werden. Den extremen Wandel von den armen Fischern in Sizilien aus „La terra trema“ zu dieser hektischen, römischen Welt ist, muss man erst verdauen. Fast möchte man aufschreien, man sehnt sich zurück ans Meer, an die stillen Bilder. Davon gibt es in „Bellissima“ nicht viel. Immerzu wird gerannt, geschrien, mit Fächern gewedelt und gelacht. Speed-Dialoge geben ein ironisches Bild von der italienischen Seele. Humor ist dem Neorealismus sicher nicht fremd und hier gibt es eine ganze Menge davon. Von Streitereien über die Fußballmannschaften Roms bis hin zu hysterischen und augenzwinkernden Gefühlsausbrüchen und dem Bedienen diverser Frauen- und Männerklischees verlässt Visconti die dürstende und düstere Kargheit seiner bisherigen Filme. Dadurch fühlt man sich als Zuseher überlegener, ja fast etwas distanziert und vermag selten in die Hoffnungslosigkeit, der zu humoristisch gezeichneten Figuren eintauchen. Es geht um Maddalena, eine filmbegeisterte Frau aus einer Arbeiterfamilie, die durch einen Castingaufruf die große Chance für ihre kleine Tochter Maria sieht, dem Arbeiterleben zu entrinnen. Sie unternimmt alles für den Ruhm, gibt alle Ersparnisse auf, lässt sich auf einen Flirt mit einem der Filmleute ein, zahlt Bestechungsgeld, versucht alles aus ihrer Tochter herauszuholen. Dabei verliert sie allerdings nie die Liebe zu ihrer Tochter. Es ist klar, dass die moralisch-humanistische Keule am Ende des Films zuschlägt. Ähnlich wie Paul Thomas Anderson in „Magnolia“ stellt Visconti die Frage nach der Rolle von Kindern im Leben ihrer Eltern und auch die Frage nach Kindern im Showgeschäft. 


In einer zentralen Szene lachen die Filmmenschen über die echten Tränen von Maria bei einer Projektion der Probeaufnahmen. Maddalena beobachtet die Männer fassungslos aus dem Projektionsraum. Doch genau diese falsche Echtheit ist es, die der Regisseur des Films sucht. Was heißt hier Schönheit? Schönheit als Ausnutzung von Unschuld, die dann auf der Leinwand festgehalten werden kann. Schönheit als ein persönliches Empfinden. Schönheit als Schwäche, die man zur Echtheit filmisch verändern kann. Fast richtet Visconti hier den Spiegel auf sich selbst, sein eigenes Schaffen, denn schließlich scheint auch er sich der echten Tränen seiner jungen Schauspielerin zu bedienen. Hierin schlägt das emotionale und auch kritische Herz von „Bellissima“. Die Filmindustrie und streng genommen das gesamte Filmschaffen werden von Visconti hinterfragt. Dabei verlässt der Film kaum satirische Bahnen. Das Drehbuch, das nach einer Idee von Cesare Zavattini („Ladri di biciclette“) entstanden ist, bewegt sich durchgehend am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und nicht nur hier liegt eine Parallele zum frühen Schaffen eines Pedro Almodóvars, denn in Anna Magnani findet Visconti eine starke und zugleich zerbrechliche Frau, einen Magneten für seine Kamera, dem er eine zutiefst weibliche Rolle gibt, die eben nicht den männlichen Blicken alleine genügt, sondern etwas darüber hinaus sein darf und will. Es entsteht eine differenzierte Person mit Stärken und Schwächen und einer erstaunlichen Gabe zur Selbstbetrachtung. Glaubt man lange Zeit, dass Maddalena naiv ist, wird man eines besseren belehrt, als sie dem Filmproduzenten in einer weiteren bemerkenswerten Uferszene im Kino von Visconti zu seinem guten Deal gratuliert und weiß, dass dieser das Geld lediglich dafür verwendete sich selbst ein Moped zu kaufen statt es für das Wohlwollen von Maria auszugeben. Eine falsche Heiligkeit haftet ihr an, wenn sie sich scheinbar damit tröstet, alles für ihre Tochter getan zu haben. Diese Frau funktioniert allerdings nicht, wenn sie zu sehr monologisiert und fast selbst eine Lektion im Schauspiel zu geben scheint. Ein stiller Moment wie in Visconti in seinen beiden ersten Langfilmen gesucht hätte, wäre auch in „Bellissima“ von Wert gewesen. Spannend dagegen wie Magnani oft mit dem Off-Screen kommuniziert und dabei zugleich einen unsichtbaren Partner und den Zuschauer direkt anzusehen scheint. Sie spielt mit uns und damit wird nicht nur der komödiantische Faktor des Films erhöht, sondern auch seine Wahrhaftigkeit, denn Magnani vermag sich zu offenbaren.


Zum Teil fühlte ich mich sehr an die jüngsten Autorenfilme aus Italien von Regisseuren wie Matteo Garrone und Paolo Sorrentino erinnert. Der satirische Blick auf das römische Leben, der Blick hinter die Kulissen der Cinecittà, der Traum von einem schönen Leben, der ein Traum bleiben muss, um weiter zu existieren. Doch statt dem Flüchten in die Fantasie wie in Garrones „Reality“ steht am Ende von „Bellissima“ eine Rückkehr zur Realität. Der Zauber von der großen Leinwand (bei Garrone dem Fernsehen) atmet selbst, wenn man ihn durchschaut. Es repräsentiert eben nicht nur den Traum von Gefühlen, sondern auch einen materialistischen Traum. Berühmtheit steht 2013 J in einer merkwürdigen Strömung irgendwo zwischen Warhols realisierter Utopie, das jeder für einige Momente Berühmtheit erlangen kann und eigentlich jeder jederzeit Kunst schaffen kann, über den Überschwall an Castingshows und der daraus resultierenden Gleichgültigkeit gegenüber Berühmtheit in großen Teilen der Gesellschaft, die auch damit zu tun hat, dass es hunderte Stufen von Fame gibt. Trotzdem gereicht die moralische Keule am Ende von „Bellissima“ zur vollen Entfaltung, während die kunstvolle Flucht am Ende von „Reality“ eher als Kunstwillen aufgefasst werden kann. Der Grund dafür ist, dass Visconti etwas über Maddalena erzählt. Ihre Akzeptanz des eigenen Lebens ist keine Aufgabe, sondern eine neue Herausforderung. Kommunistische Vögelchen zwitschern da natürlich von den Visconti-Dächern, aber der Coup von Visconti ist, dass er über die Tochter, das Kino und 109 Minuten Geschrei tatsächlich etwas über eine Frau herausgefunden hat.  


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen