„Permets-moi, je t'en prie, Marie. Permets-moi pour une sombre histoire de cul...”
Bei Jean Eustache und seinem “La maman et la putain” besteht
die Liebe aus Leid. Kaum ein lächelndes Gesicht über 3,5 Stunden. Mit
Verachtung sprechen die Charaktere von Sex und Gefühlen; Mit blinder Leidenschaft
folgen sie ihren Bedürfnissen fast wie Tiere. Es ist ein anti-romantischer
Ansatz bei dem Körper mit Gartenanlagen verglichen werden und Betrug zum Alltag
gehört. Es war, wie man hört, ein aufrichtiger und persönlicher Film, der den
häufig übergangenen Filmemacher an seine persönlichen Grenzen brachte. Es ist,
man mag mir diesen emotionalen Ausbruch verzeihen, einer der besten Filme, die
je gedreht wurden. Das liegt in meinen Augen hauptsächlich an drei Dingen:
Aufrichtigkeit
Verortung
Alltäglichkeit
Dabei soll nicht vergessen werden, dass der Film
gewissermaßen ein reflektierender Höhepunkt der Nouvelle Vague ist, der sie zur
gleichen Zeit denunziert und auf ein neues Level hebt, der sie vergöttert und
ablehnt. Mit einem Cast bestehend aus Jean-Pierre Léaud, Isabelle Weingarten,
der kürzlich verstorbenen Bernadette Lafont und Françoise Lebrun zeigt sich der
Film in seiner schwarz-weißen, verrauchten, Paris-Atmosphäre schon
oberflächlich als später Vertreter einer gewissen neuen Tendenz im
französischen Kino der 50er, vor allem 60er und manchmal 70er Jahre. Jean
Eustache, der sich im Alter von 42 Jahren erschoss, zählt nicht umsonst zu den
ersten Vertretern einer neuen Generation im französischen Kino, der er zusammen
mit Maurice Pialat die Krone aufsetzte, ohne jemals die Wertschätzung seiner
Vorfahren zu erreichen. Es ist ein Kino, indem das Zitat zitiert wird, indem die
Charaktere in einer Kinokultur und Popkultur leben. Es ist die Geschichte von
Alexandre, der frisch von seiner Liebe Gilberte getrennt ist und mit Marie
zusammenlebt. Alexandre ist finanziell von Marie abhängig und lebt bei ihr und
mit ihr in einer offenen Beziehung. Er lernt jedoch in einem Café Veronika
kennen und beginnt eine Affäre. Das Wort
„Liebe“ wird ähnlich wie bei Louis Malles „Les amants“ oder ähnlich prekären Melodramen zu häufig
benutzt, als das es wahr wäre. Aber von Gefühlen oder einem Melodram ist der
Film trotz seiner Dreieckskonstellation himmelweit entfernt. Es ist vielmehr
ein Portrait von narzisstischen Intellektuellen, die Zeichnung einer Generation,
die man als 68er oder Post-68er bezeichnen könnte, die sich mit einer
Geschlechterproblematik auseinandersetzt und daran zweifelt. Wer könnte da geeigneter
sein als Jean-Pierre Léaud, jener von Truffaut geborene Antoine Doinel, den man
kennt als einen jungen Mann, der vor dem Spiegel steht und seinen Namen
wiederholt und wiederholt und wiederholt, der zwischen maskulin und feminin oszilliert
und immer gleichzeitig für sich selbst, den Film, seine Schauspielpartnerin und
den Zuseher zu spielen scheint. Er ist ein Vertreter der Nouvelle Vague, der
sie gleichzeitig von außen ansieht. Wenn man sich fragt, ob Charaktere im Kino
reflektieren sollten, dann kann man mit diesem Film-trotz seiner Romanhaftigkeit-mit
einem klaren „Ja“ antworten. Romanhaft ist nicht nur das theatrale Spiel von
Léaud (das würde ich sogar als unbedingt filmisch betrachten), sondern auch die Künstlichkeit der Wörter; so
verwendet Alexandre die Sie-Form bei seiner Geliebten.
Jean Eustache ist bekannt dafür, dass er seine Drehbücher
und Dialoge wortwörtlich nahm. Schauspieler durften nicht ein Wort abändern,
alles musste exakt so aufgesagt werden wie er es sich ausgedacht hatte. Dabei
erreichen seine Dialoge, trotz aller artifiziellen Tendenzen manchmal die
Echtheit und Direktheit einer Improvisation. Damit ähnelt er John Cassavetes,
der zum Beispiel in „A woman under the influence“ einen ähnlichen Effekt
erzielte. Eustache thematisiert nicht nur inhaltlich immer wieder das Kino
selbst und macht sich damit-insbesondere, weil er viel amerikanisches Kino
zitiert- zu einem Teil der Nouvelle Vague, gleichzeitig aber scheint ein kritisches
Bewusstsein des jüngeren französischen Kinos in seinem Werk mitzuschwingen.
Trotz der durchgehenden Reflektion, der Länge und der
Wortbezogenheit des Films, die in Cannes seinerzeit zur wütenden Nachfrage auf
der Pressekonferenz führte, warum Eustache denn nicht ein Buch geschrieben habe,
ist „La maman et la putain“ ein zutiefst filmisches Werk. Einer der Gründe dafür
ist, dass die Worte und das Denken im Film nur Vorwand vor dem Gefühl sind.
Hinter dieser Anti-Romantik, die in offenen Beziehung Affären als normal
tituliert und sie in den Alltag einbindet, die keine Lüge und keine großen Geheimnisse
kennt, sondern einfach nur bloße Existenz schwingen eben doch auch
gefühlsbetonte Abhängigkeiten, ja ein Drang zur Selbstzerstörung mit. Einmal
visualisiert Eustache das fast schon plakativ, als Alexandre mit einem Buch im
Café sitzt und liest, aber kaum damit beginnt, weil er ständig eifersüchtig zu
Veronika sieht, die sich mit zwei Männern unterhält. Was in diesem Film
passiert, wird eben kaum ausgesprochen. In den langen und häufigen
Schwarzblenden gewährt Eustache einen Nachdenkprozess. Im Dunkel des Kinosaals
kann man wirklicher nachdenken, als im philosophischen Diskurs von Alexandre,
der Teil einer vom Existenzialismus getränkten Café-Gesellschaft ist, die aus
Mücken Elefanten macht, aber aus Elefanten auch Mücken.
“Pour moi,
il n'y a pas de putes. Pour moi, une fille qui se fait baiser par n'importe
qui, qui se fait baiser n'importe comment, n'est pas une pute. Pour moi il n'y
a pas de putes, c'est tout. Tu peux sucer n'importe qui, tu peux te faire
baiser par n'importe qui, tu n'est pas une pute.”
1.Aufrichtigkeit
Viel kann man lesen über die autobiografischen Bezüge des
Films. Eustache, der eine ähnlich fatale Dreiecksbeziehung führte, seine
Beziehung zu Françoise Lebrun im echten Leben, der Selbstmord jener Frau, auf
der der Charakter von Bernadette Lafont basierte, die Thematisierung von Selbstmord,
den auch Eustache mit 42 Jahren beging. François Truffaut hat einmal gesagt,
dass er nur deshalb Filme über Kinder gemacht habe, weil er sonst nichts
gekannt habe außer dem Kino. Und man müsse Filme über Dinge machen, die man aus
dem Leben kenne. Dies ist schließlich auch der Grund, warum viele
Ausbildungsstätten für Filmschaffende ein besonderes Augenmerk auf den
Lebenslauf der potenziellen Studenten legen. Was daran fatal und falsch sein
könnte, zeigen eben Truffaut und Eustache. Persönliche und echte Geschichten zu
erzählen ist nämlich keine Sache des besonderen Lebenslaufs, sondern der Fähigkeit
das Besondere im eigenen Lebenslauf verarbeiten zu können. Denn im Kern ist
jedes Leben voller Filme. Was „La maman et la putain“ also zu einem so
aufrichtigen Film macht, sind nicht zwangsläufig die autobiografischen Bezüge,
sondern vielmehr die Offenheit, Ehrlichkeit und Schlichtheit, in der sie
Eustache sicht- und hörbar macht. Seine Auflösung ist einfach, statisch und auf
den Kern fokussiert. Er hat die Rolle mit Léaud im Kopf geschrieben, aber er
hat sie mit seinen Gedanken und seinem Leben gefüllt. Mehr braucht der Film
nicht. Hier wird keine kinoästhetische Schlacht im Stil von Jean-Luc Godard
geschlagen, keine kinematographische Entfremdung in architektonischen Formen
wie bei Michelangelo Antonioni aufgebaut, sondern die Wahrheit und die
Fixierung der Zeit liegen bei Eustache im Vergehen von jener Zeit und in den
Dialogen/Monologen. Die Konsequenz der Länge des Films ist pure Logik. Ähnlich
wie beim diesjährigen Cannes-Gewinner „La vie d’Adèle“ kommt erst dadurch das
Leben hinter den Figuren zum Vorschein. Man scheint etwas nur lange genug
betrachten zu müssen, um tiefer einzutauchen. Alleine das würde schon das
filmische Potenzial von „La maman et la putain“ rechtfertigen, aber die
Verortung im Kino ist auch deshalb notwendig, weil die Charaktere in einer
Kinowelt leben. Immer wieder macht Alexandre Querverweise auf Filme von
Chaplin, über Elio Petri bis zu Bresson; ein großes Thema im Film ist das
Rollenspiel. Alexandre ist damit beschäftig so zu sprechen wie andere sprechen,
die Stimmungen schwingen unheimlich schnell um. Es geht darum, dass jeder eine
Rolle spielen will, aber die Kamera ist unerbittlich und weil sie einfach nicht
weggehen will, kann der Zuseher irgendwann tatsächlich hinter die Masken
blicken. Eustache bleibt so lange auf der Falschheit bis sie echt wird. Er ist
ein großer Künstler des Kinos. Die Rolle einer aufgeklärten und sexuell
befreiten Kultur? Nicht umsonst löste der Film einen Skandal in Frankreich aus,
denn die Gesellschaft, die er zeigt, ist kaputt. In welchem anderen Medium
hätte Eustache seine Idee vom Leben zeigen können? In keinem, weil er ein Kind
des Kinos ist und weil Kino durch jedes seiner Bilder und Worte spricht. Wenn
man in einem Roman wie „High Fidelity“ das Gefühl hat, dass das Buch eigentlich
besser eine Schallplatte wäre, dann macht das Spaß, führt aber zu keinem
tieferen Erlebnis. Bei Eustache sind Künstler und Medium eine Einheit und das
sollte man dann auch nicht vergessen, wenn Lebensläufe in Filmschulen wichtiger
zu sein scheinen, als die Beziehung zum Kino. Denn auch bei Truffaut sind
Kinder nur ein Mittel, um seine Liebe zum Medium auszudrücken. Bei Eustache ist
diese Liebe aber Leid.
Et je me
fais baiser par n'importe qui et on me baise et je prends mon pied.
2.Verortung
„La maman et la putain“ ist derart fest an einem Ort und vor
allem in einer Zeit verortet, dass er tatsächlich als Portrait einer Generation
verstanden werden kann und zwar im dokumentarischen Sinne. Wie kann ein
Filmemacher nur sowas erreichen? Das hat sich auch Olivier Assayas gefragt:
„Je
n'aurais pas imaginé ne pas citer La Maman et la Putain. J'ai l'impression de
vivre avec ce film depuis qu'il existe. Je me pose, comme beaucoup de gens dans
le cinéma, la question de savoir comment on peut refaire quelque chose comme
cela, comment on peut atteindre ce qu'Eustache a atteint. Je crois que la
réponse est qu'on ne peut pas. Eustache a dans ce film résumé et accompli une
idée qui était celle de la Nouvelle Vague. Il a fait le film qui avait été théorisé
par la Nouvelle Vague.”
Assayas selbst scheint mir eine modernere Version von Jean
Eustache mit einer guten Prise Hongkong-Kino und einer sich immer bewegenden
Kamera zu sein. Es geht hier um nichts geringeres, als Leben auf die Leinwand
zu bannen, das etwas über das eigene Leben aussagt. Und zwar individuell und
auf die Gesellschaft bezogen. Die On-Location Drehs der Nouvelle Vague helfen
da natürlich ungemein. Die Cafés und
Wohnungen atmen den Geruch von Paris um 1970. (Ich war nicht da, ich kenne ihn
nur aus Filmen, darüber könnte man einen weiteren Blogeintrag verfassen…) Die
Themen sind von Film- und Popkultur durchdrungen; Kostüm, Frisuren, Komparsen.
Da ist nicht viel gestellt, da wurde nicht viel konstruiert. Film als
Zeitdokument. Heutzutage werden diese Zeitdokumente anderes hergestellt, sie
scheinen konstruiert werden zu müssen, wie in „Fight Club“ von David Fincher
oder kürzlich in „Spring Breakers“ von Harmony Korine. Der Entwurf und das
nicht zu Ende Denken, ja nicht zu Ende schauen sind hier Teil einer Generation,
die es zu portraitieren gilt. Das sind schon fast keine Filme mehr, sondern
montierte Eindrücke, die sich nicht an Charakteren festhalten, deren Charaktere
sich sogar auflösen. Doch kommt da Film nicht an eine merkwürdige Grenze? Wenn
man die Stimmung einer Generation nur mit MTV-Ästhetik einfangen kann, kann man
sie dann noch mit Filmen einfangen? Oder wäre die Rolle von Filmen nicht eine
gänzlich andere, eine die nach Wahrheit unter der Oberfläche sucht, statt die
Oberfläche zur Wahrheit zu verklären? Was sowohl Korine als auch Fincher
versäumt haben im Vergleich zu Eustache ist einen echten, glaubhaften Charakter
ins Zentrum ihrer Gesellschaftsanalysen zu stellen. Denn genau dieser
Alexandre, der in seinem Macho-Narzissmus versucht ein mondänes Intellekt
erscheinen zu lassen, ist der Grund warum der Film auch 2013 noch genau so
funktioniert wie vor 40 Jahren. Vor kurzem
habe ich mir über ein Kino der Deformation Gedanken gemacht. Auch bei Eustache
gibt es diese Deformation, die das Filmsetting zu einem echten Setting macht und
einen verzerrten Spiegel vor das Gesicht des Zusehers hält: Sie liegt im
Verhalten der Charaktere, im Humor des Films, in den Stimmungswechseln. Die
Verortung könnte naturalistischer nicht sein und die Deformation bei Eustache
ist eine naturalistische, denn sie obliegt nicht einer bewussten Veränderung
des Alltäglichen, sondern dessen messerscharfen Analyse.
Il ne faut
baiser que quand on s'aime vraiment.
3.Alltäglichkeit
Was ist Alltäglichkeit eigentlich im Kino oder was kann es
sein? Eine genau so vager Begriff wie Realismus, vielleicht ist Alltäglichkeit
der irrelevante Bruder von Realismus? In erster Linie mag man, gerade im Bezug
auf „La maman et la putain“ denken, dass es mit dem Verstreichen von Zeit zu
tun hat. Oft bleibt die Kamera von Eustache lange Zeit auf den Charakteren,
obwohl scheinbar nichts passiert. Die Abwesenheit von Handlung oder einer
motorischen Umsetzung des Denkens liegt auf der Hand. Oft scheinen Alexandre
und vor allem auch Veronika beziehungsweise Marie genau das zu tun, was sie
nicht tun wollen. So versucht Marie Alexandre zärtlich zu berühren, als dieser
mit Veronika schläft, aber ihre Hand wird von Veronika immer wieder
weggeschlagen. Mehr noch scheint mir
Alltäglichkeit aber eine Frage des Rhythmus zu sein. Von der ersten Einstellung an wird Zeit nicht
manipuliert bei Eustache sondern abgebildet. Selbst die Schnitte kommen in Form
einer Blende daher langsam. „La maman et la putain“ als Denkprozess, der „Vivre
sa vie“ nochmal entschleunigt und vor allem sich die Zeit nimmt lose Teile zu
verbinden. Entfremdung entsteht hier nicht durch Lücken, sondern durch deren Betonung.
Alltäglichkeit ist immer auch einer Auswahl unterzogen. Es geht darum nicht
immer die scheinbar entscheidende Handlung zu zeigen, sondern den Moment der Zeit
im Bild einzufangen. Nachdem Alexandre und Veronika Marie verlassen bleibt die
Kamera gegen den Impuls der Handlung, die eigentlich Alexandre folgt bei Marie.
Sie legt eine Platte auf und man betrachtet sie das ganze Lied ohne sie
wirklich zu sehen, weil sie sich von der Kamera abwendet. Hier ist also ein
entscheidender Moment, der aber alltäglich ist. Es geht nicht darum etwas Besonderes
zu zeigen, sondern darum, dass aus dem Banalen etwas Besonderes entsteht.
Natürlich gehört das Understatement in der Kameraarbeit auch dazu. Kaum eine
Einstellung würde man als speziell schön oder ästhetisch bezeichnen, immer
steht die Kamera dort wo sie steht. Meist effektiv, aber nicht zwangsläufig.
Das erinnert dann an Cassavetes, der Figuren unscharf hatte oder aus dem
Bildkader verschwinden ließ, oder eben modernere Fassungen eines solchen Kinos
der Alltäglichkeit wie die Gebrüder Dardenne oder den unglaublichen Cristi
Puiu. Puiu ist deswegen unglaublich,
weil er wie ein Musterbeispiel dienen kann, um Alltäglichkeit im Kino zu erklären
oder sich dem anzunähern, was es sein kann. In seinem „Marfa și banii“ folgt er
einer Gruppe von Jugendlichen, die Drogen transportieren auf ihrer Fahrt nach
Bukarest. In Jump-Cuts drängt sich der Film mit langen Einstellungen in Richtung
der rumänischen Hauptstadt und immer schein Puiu sich für die unbedeutenden
Ereignisse zu interessieren. Damit erschafft er eine Echtheit, die das Kino zu
seiner immer noch wahrsten Form führen können: Realität. Selbst wenn
dramatisches passiert, sind nicht alle Weichen auf Drama gestellt bei Puiu und
auch bei Eustache. Lachen und Weinen, Zuneigung und Ablehnung, Liebe und Ekel
wechseln sich ab. Ein absurd-existenzialistisches Element schwingt dabei mit.
Diese Filme fragen sich was es heißt zu leben und damit fragen sie auch
automatisch das Kino nach seinen Fähigkeiten. Es passiert unheimlich viel, aber
die Bewegung muss nicht immer linear sein. Kino hat die Möglichkeit ein Bild
und mehrere Bilder quer zu lesen, es stehen zu lassen, in der Zeit aufgehen zu
lassen. Der einzelne Moment kann an Bedeutung gewinnen und sich in der Zeit
entfalten. Die scheinbare Willkür offenbart sich sowohl bei Eustache als auch
bei Puiu und allen anderen genannten Filmemachern als präzises Auge und Ohr. In
den leeren Momenten liegt oft mehr Gehalt als in den handlungsdominierten. Leben
muss ja nicht unbedingt heißen etwas zu tun. Gerade Kinogänger, die während sie
den Film sehen, sitzen und schauen, sollten wissen, was möglich ist, in einem
solchen „leeren“ Moment, der mir in der aktuellen, von Bildschirmen und
Passivität beherrschte Gesellschaft umso wichtiger erscheint. In der Alltäglichkeit entsteht dann das, was
Deleuze ein Zeit-Bild nannte. Er hat das verbunden mit einer Überwältigung,
einer Machtlosigkeit der Protagonisten, die selbst zu Zusehern werden. In „La
maman et la putain“ werden die Protagonisten sogar zu Zusehern ihrer eigenen
Handlungen. Einmal spricht Alexandre davon, dass er sich nicht von Menschen
trennen kann, weil das die Zeit sowieso regeln wird. Er wolle nicht den Job der
Zeit übernehmen. Grausam und wunderschön daran ist, dass die Zeit diese Dinge
wirklich regelt.
Im Leben, im Film.
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