Donnerstag, 24. Januar 2013

Paradies: Glaube von Ulrich Seidl



Kann sich jemand, der sich so bewusst im Ton vergreift wie Ulrich Seidl überhaupt noch im Ton vergreifen? Anscheinend schon. Dabei geht es nicht, um ein im Ton vergreifen im Sinne eines Skandals oder bestimmter übertriebener Szenen. Die gehören zum Kino von Seidl nun mal genauso wie die frontalen, statischen Einstellungen oder das Ausstellen menschlicher Fehler. Vielmehr geht es um eine Überzeichnung der Charaktere, die den gewohnten Realismus hinter einem Schleier der Konstruktion verschwinden lässt-und deshalb wirkt das Geschehen nicht gut und zynisch beobachtet, sondern schlicht und ergreifend boshaft und gestellt. Normalerweise offenbaren sich Menschen aus dem Alltag, Menschen, die man im Supermarkt oder der U-Bahn, in der Arbeit, im Sportverein oder von Partys kennt in Seidls Filmen nach und nach, zeigen ihre pervertierten, kranken, aber doch irgendwo menschlichen Seiten. Man fühlt sich zugleich entfremdet, als auch ertappt. 


 
Doch in „Paradies:Glaube“ gibt es diese normalen Charaktere nicht; sie sind von Anfang an in Konflikte eingebettet, die weit über den Alltag hinausgehen, selbst wenn Seidl sich noch so bemüht Alltäglichkeit zu zeigen. Damit spiele ich vor allem an auf die äußerst billig erscheinende Konstellation einer streng-katholischen Frau und ihrem (ausgerechnet) muslimischen Ex-Mann. Der Glaubenskrieg, der sich zwischen den beiden Partnern entzündet, ist zwar auf der einen Seite ein menschlicher und damit typischer Seidl-Konflikt, aber auf der anderen Seite trieft er geradezu vor Metaphorik und Bedeutung. Dabei werden die Figuren in so großen Extremen präsentiert, dass genau diese Identifikation, die ansonsten immer mitschwingt völlig verschwindet. Natürlich ist der Muslim kein radikaler Islamist, was wohl ein noch größeres Extrem dargestellt hätte. Aber man kann kaum leugnen, dass man in diesem Film ständig den bösartig lachenden Regisseur hinter dem Bild vermutet, der Situationen schafft, in denen seine Figuren peinlich aussehen müssen, statt dass sie von sich aus handeln. In „Paradies: Liebe“ war das keineswegs so. Dort blieben die Figuren nachvollziehbar bis in die außergewöhnlichsten Auslebungen ihrer sexuellen Fantasie, genauso in früheren Filmen des Regisseurs wie „Hundstage“ oder „Import/Export“. Bei allem Zynismus lief auf einer anderen Ebene immer noch ein Gefühl von Einsamkeit mit. Im zweiten Teil seiner Trilogie verliert Seidl nun große Teile jener Wahrheit, die ihn sonst so auszeichnet. In „Paradies:Glaube“ verkommen viele Szenen zur bloßen Karikatur eines vom Regisseurs abwertend behandelten Lebensstils. Ein weiteres Beispiel des völligen Überziehens und der übermäßigen Konstruktion von Szenen zeigt sich in einer Sequenz am Bahnhof, als Anna Maria mit Rosenkranz in der Hand Zeuge einer Sex-Orgie wird. Oder später, als sie bei einer Alkoholikerin über die Mutter Gottes reden will. Eigentlich ist der Vorwurf der Boshaftigkeit nicht der Rede wert. Aber man hat das Gefühl, dass Seidl seine Figuren gerne etwas grauer gezeichnet hätte. Die Szenen, in denen sich jene Menschlichkeit offenbart, werden erdrückt von ihrer Abartigkeit beziehungsweise der Abartigkeit der ganzen Situation. 



Als Trilogie bleibt das Projekt weiter faszinierend. Anna Maria scheitert genau wie vor ihr Teresa an ihrem Konzept von einem Paradies. In beiden Filmen gibt es eine Hoffnung auf ein Paradies, das jeweils nur als Ersatz für ein sexuelles Verlangen steht. In beiden Fällen ist diese Hoffnung zum Scheitern verurteilt. (sehr einfache Zusammenfassung); Maria Hofstätter spielt die bibeltreue Katholikin furchteinflößend konsequent. Auch zeigt sich Seidls wahre Qualität, das Blicken hinter den Vorhang, den Menschen vor ihre Neurosen ziehen immer wieder. So filmt er in einer erdrückenden Einstellung, wie Anna Maria mit dem Jesuskreuz masturbiert (was eine Klage in Italien nach sich zog, wo der Film in Venedig Premiere feierte) oder als sie einen Mann in einer völlig chaotischen Wohnung besucht. Die Kälte mit der Anna Maria ihre Botschaften von Liebe preisgibt ohne jemals Kontakt zu suchen, selbst wenn sie andere berührt; die Herablassungen, die sie scheinbar unbemerkt über sich herziehen lässt, beschäftigen einen lange nach dem Kino. Der Film ist weit davon entfernt schlecht zu sein. Aber Seidl wandelt eben auf einem schmalen Grat, denn wenn seine Filme die Graustufen und die Menschlichkeit verlieren, dann verkommen sie zur verkommen sie zur bloßen Ausstellung von Schwächen beziehungsweise einem sich lustig machen über kaputte Menschen und solche, die es werden wollen. 



Noch einige interessante Worte von Elfriede Jelinek aus der Stadtkino-Zeitung:

„(…) man kann es vielleicht sogar psychologisierend deuten wie in „Glaube“, es wird einem sogar auf dem berühmten Tablett präsentiert, und doch weiß man nicht, was sie antreibt, Lust zu suchen, Jesus zu suchen (was bei manchem ein- und dasselbe ist), sich vor Fremden bei sinnlosen Bekehrungsversuchen zu demütigen, (…)“

„Je (in)brünstiger sich diese Missionarin an andere verschwendet, um sich in Wirklichkeit immer nur selbst zu erschaffen, wie alle Fanatiker, die etwas dermaßen Wichtiges wie sich selbst niemand anderem, auch keinem Gott, überlassen würden, selbst wenn sie sich für diesen Gott in die Luft sprengen und vernichten mögen, desto schneller verschwinden die anderen in ihr, (…)“


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