Sonntag, 25. November 2012

La battaglia di Algeri von Gillo Pontecorvo




„Schlacht um Algier“ aus dem Jahr 1966 ist zweifellos ein moderner Film. Das liegt zum einen an der offensichtlichen politischen Brisanz des Filmes, der so außerordentlich detailliert in der Lage zu sein scheint einen Guerilla-Stadtkampf wiederzugeben, dass ihn sogar das amerikanische Militär in Folge der Terroranschläge von 2001 als strategische Orientierung genauer betrachtete. Auf dem DVD-Cover war/ist zu lesen, dass im Film keine einzige Szene dokumentarischer Natur ist, alles sei gestaged. Ungewöhnlich und auch ziemlich mutig, aber absolut gerechtfertigt. Was man in den Straßengräben von Algier sieht, scheint auch heute noch absolut real zu sein. Im Gegensatz zu den melodramatischen Anwandlungen seiner neorealistischen Vorbilder knüpft Pontecorvo eher an eine Mischung der Massenszenen der frühen russischen Schule um Sergej Eisenstein und einer Dramaturgie an,-und hier kommt der springende Punkt- die ähnlich einer Kriegsreportage geradlinig und sich immer einer Zeitlichkeit bewusst nach vorne marschiert; einer Dramaturgie, die man in modernen Videospielen findet. Eisenstein meets Call of Duty? Dabei beweist er eine unheimliche Nähe zu den Ereignissen und große Detailfreude. (auffällig an dieser Stelle auch die inszenatorischen Parallelen zu Ben Afflecks „Argo“ mit den vielen Zwischenschnitten von Nahaufnahmen, die Authentizität und Echtheit vermitteln.)



Der Film behandelt die Geschehnisse in der Hauptstadt des französischen Algeriens zwischen November 1954 und Dezember 1957. Omnipräsent beleuchtet Pontecorvo beide Seiten der blutigen Kriegshandlungen. Die der Franzosen, die sich nach Indochina einer weiteren aufmüpfigen Kolonie gegenübersehen und glauben zu wissen, wie sie vorgehen müssen, aber gleichzeitig ihre eigene Motivation hinterfragen, und die der Algerier, die sich in der zweigeteilten Stadt auf ihrer Seite (der Kasbah) organisieren und aus den schmalen, verwinkelten Gassen Vorteile ziehen. In ihrer Unerschrockenheit liegt eine der wenige Versäumnisse des Films; die Schilderung der algerischen Seite wirkt zu einheitlich: Zweifler werden leicht bekehrt und Verräter verraten nur nach schlimmster Folter. Trocken und präzise geht in „Schlacht um Algier“ eine Handlung aus der nächsten hervor. Ohne unnötige patriotische oder dramatische Anwandlungen führt eine Aktion immer zu einer Reaktion. Der Kampf um Autonomie wird nicht heroisiert. Er wird als leichtester Baustein in einem Turm aus Aufgaben für die Nationalisten rund um die FLN in Algerien gesehen. Zwar kann die Message des Films am Ende dann als Propaganda verstanden werden, aber nur weil das Ende für gewöhnlich besonders haften bleibt. Denn weder werden die Franzosen als unreflektierte „Böse“ charakterisiert, noch werden die Folgen der grausamen Taten der Befreiungskämpfer verschwiegen. Der linke Ton des Filmes erklärt sich vielmehr durch die zeitliche Strömung der 60er Jahre, in der er entstanden ist. Die postkoloniale Diskussion ist heute genauso wenig aus der Gesellschaft verschwunden, wie die scheinbare Notwendigkeit von Stadtkriegen. Zwar bietet der Film offensichtliche Zeitgeschichte an, aber aufgrund seiner Genauigkeit besitzt er eine Allgemeingültigkeit, die sich bis in die heutigen politischen Konflikte erstreckt. Im Gegensatz zum Neorealismus verklärt er die Welt auch nicht zum Humanismus; eher ist es eine desillusionierte Sicht, die sich in Nüchternheit entblößt, statt in Menschlichkeit zu ersticken. Wie auch Terrence Malick in „The Thin Red Line“ versteht der Film, dass Kriegshandlungen nicht auf der Qualität einzelner Individuen beruhen, sondern auf ihrer Quantität. Das ändert nichts daran, dass es sich um Individuen handelt, aber diese sind eben austauschbar in ihrem Verhältnis zum Krieg. Auch der viel-diskutierte Film „Der Baader Meinhof Komplex“ von Uli Edel versuchte sich an einer temporeichen Geschichtsabhandlung mit wechselnden Subjekten, die unter einer gemeinsamen Idee zusammenkommen. Im Unterschied zu Pontecorvo aber verfiel der deutsche Film der Verführung sich den charismatischen Rebellen hinzugeben, zeiget trotz der größeren zeitlichen Differenz zwischen Geschehnissen und Filmproduktion deutlich weniger Aufgeklärtheit und stand daher-interessanterweise-einem linken Propagandawerk um einiges näher, als sein italienisch/algerischer Vorgänger. 






Was den beiden Filmen jedoch gemein ist, ist der videospielähnliche „Missionscharakter“ der Dramaturgie. So geht es in einer Sequenz um die Platzierung dreier Sprengsätze im französischen Teil der Stadt. Drei Frauen werden damit beauftragt. Die Kamera begleitet jede der Frauen in einer Parallelmontage auf ihrem Weg bis zur Detonation der Bomben. Dabei treten ähnliche und doch verschiedene Hindernisse auf. Man kann also von zielorientierten Sequenzen sprechen, die das Fortlaufen des Filmes garantieren. Das liegt darin, dass das in klassischen Dramaturgien übliche große, finale Ziel in „Schlacht um Algier“ ein Ideal ist, was geschichtlich bekannt entweder nie oder erst nach den Ereignissen des Filmes erreicht werden kann. Wie in einem Videospiel zählt nicht der Charakter, sondern die Motivation eine Mission abzuschließen. Wie in einem Videospiel gilt die Konzentration des Rezipienten/Spielers nur der Gegenwart des Films/Spiels und nicht der Zukunft, auf die die Dramaturgie hinarbeitet. Dieses Gefühl wird noch bestärkt durch das scheinbare Lernen aus Fehlern, das einer Wiederholung eines Levels nach „Game Over“ gleicht. So fällt der französische General Matthieu einmal auf einen Korb, der mit einer Bombe bestückt ist herein, um beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation vorsichtiger vorzugehen. Eine Art „Learning by Doing“ entsteht, die natürlich in der brisanten Situation dieses spezifischen Krieges begründet liegt, aber dennoch in ihrer gleichzeitigen Gewalt und Distanz Ähnlichkeiten zur Wirkung eines Spieles hat. Dabei soll gar nicht die Moral des Filmes hinterfragt werden, denn es ist vielmehr so, dass man diese Gleichgültigkeit bemerkt und sie hinterfragt. Sie kommt einfach mit dem fehlenden Pathos und dem Nicht-Aufhalten am Leid von Individuen, denn das Leid des Einzelnen stürzt den Nächsten in eine Mission. Ein Kreislauf entsteht und ein unwiderstehlicher Sog.


Allgemeiner könnte man sich- wie Godard das einmal tat-fragen, inwiefern die eigenen Sehgewohnheiten und Muster, das was man schon gesehen hat auf die Wirkung eines Filmes einwirkt oder anders: Sehen wir alte Filme im historischen Kontext ihrer Produktion, in ihrem gesellschaftlichen Diskurs oder sehen wir sie im Verhältnis zum „Neuen“, was wir kennen und gesehen haben, dem zeitgeschichtlichen Diskurs unserer Generation? Inwiefern drehen sich Filmzitate um? Die Musik in „Schlacht um Algier“ stammt zum Teil von Ennio Morricone und wurde von Quentin Tarantino in „Inglorious Basterds“ verwendet. Tarantino zitiert Pontecorvo an mehreren Stellen. Zum Beispiel wartet eine Gruppe von Rebellen hinter einer Wand versteckt darauf, ob sie entdeckt werden oder nicht. Für den Fall, dass man das Zitat vor dem Original sehen konnte, stellt sich nun die Frage der Relativierung. Die Musik ist im Kontext von „Inglorious Basterds“ in einem humorvollen Kontext eingesetzt worden und wurde von mir zunächst auch in „Schlacht um Algier“ damit konnotiert. Erst nach und nach entblößte sich die Vielschichtigkeit dieses musikalischen Zitats bei Tarantino und ich begann die Musik direkt in ihrem ursprünglichen Kontext zu betrachten. Die Freude des Wiedererkennens einer bekannten Melodie in einem älteren Film führte zu einer größeren Anerkennung der Leistung des Originals; die Motivation für den Einsatz der Musik wurde von einer anderen Perspektive, genauer betrachtet. Auch in diesem Sinne ist der Film aus dem Jahre 1966 also modern, weil er es schafft wie ein Zitat zu wirken, obwohl er selbst zitiert wurde; das liegt hauptsächlich an der Inszenierung, die in einer großen Geschwindigkeit immer den richtigen Blickwinkel zu finden scheint und daher ganz leicht die Zeit zu überleben scheint. Frei von Urteilen besitzt er Allgemeingültigkeit ohne gleichgültig daherzukommen. Deshalb ist „Schlacht um Algier“ filmgeschichtlich mindestens von gleicher Wichtigkeit, wie zeitgeschichtlich.


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