Mittwoch, 10. Oktober 2012

Sous le sable von François Ozon



Eine Frau nimmt sich gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Auszeit am Meer. Sie fahren in ihr kleines Haus dort. An einem Tag gehen sie baden. Sie wählen einen möglichst ruhigen, verlassenen Strand. Die Wellen und der Wind sind das einzige hörbare Geräusch. Der Mann möchte ins Wasser gehen. Er fragt seine Frau, ob sie ihn begleiten wolle. Sie verneint, sie sei müde und möchte sich noch ein bisschen ausruhen. Dann geht der Mann ins Meer. Wellen sind zu sehen. Die Frau, gespielt von Charlotte Rampling wacht auf und blickt sich um. Sie sieht ihren Mann nicht im Wasser, nicht am Strand. Erst denkt sie sich nichts, liest noch etwas in einem Buch. Dann Panik: Ihr Mann ist verschwunden.



Dies ist die Ausgangsposition für Sous le sable (Unter dem Sand) des beeindruckenden französischen Regisseurs  François Ozon. Dabei liefert er eine intensive Charakterstudie, die sich mit Verlust und Ängsten auseinandersetzt. Rampling brilliert als eine Frau, die beginnt daran zu zerbrechen, dass sie nicht um das Schicksal ihres Gatten weiß; oft hat sie die Augen nach unten geschlagen. So ist es sehr schwer in ihr zu lesen. An anderer Stelle wird statt einer Nahaufnahme der Blick auf ihren Hinterkopf gegeben. Dann ändert sie wieder schlagartig ihren Ausdruck, ihre Meinung, ihr Auftreten. Man fühlt förmlich die Anstrengung, wenn sie lächelt. Verlust ist eines der Hauptmotive des Regisseurs von Filmen wie 5x2 oder Le Temps qui reste. In Sous le sable wird diese Angst aber in ein psychologisches Spiel mit dem Zweifel an der Realität verkehrt. Ein Leugnen des Realen wenn man so will, das auch Martin Scorsese- nach Dennis Lehanes Buch- in Shutter Island erforscht hat. Doch statt sich wie der amerikanische Meisterregisseur in relativ plumpen Horroreffekten zu versuchen, besticht Ozon durch die Ruhe seiner Beobachtungen. Zudem hebt der dramaturgische Kniff, dass der Zuseher immer etwas weniger weiß, als die Protagonisten, das Niveau beträchtlich an. Manchmal springt Ozon einfach ein gutes Stück nach vorne in der Zeit und man muss den Wissensstand wieder aufholen; viel häufiger wird man aber selbst mit dem Zweifel an der Realität und Diegese des Films konfrontiert. In diesem Film spielen sich tatsächlich Dinge über und unter dem Sand ab; ein Fest der Mehrdeutigkeiten, welches mit einer Sicherheit inszeniert ist, dass es einem schon fast schwindlig wird.



Die surrealen Momente des Erinnerns und des Imaginierens sind nicht besonders innovativ. Allerdings ist die Art wie sie im Gesamtkonzept verwoben sind nahe an der Perfektion. Es gibt Augenblicke beim Betrachten dieses Films aus dem Jahr 2000, da weiß man nicht mehr, ob man sich selbst Dinge nur vorgestellt hat. Ein weiteres Thema der Filme von François Ozon ist das Erkunden menschlicher Abgründe in sexuellen Situationen. In einer bemerkenswerten Masturbationsszene sind viele Hände im Gesicht und am Körper von Charlotte Rampling zu sehen. Auch hier wird die Vorstellung wieder zur Realität, wenn auch nur für einige Augenblicke. Später ein Lachanfall: Ihr neuer Liebhaber Vincent rutscht auf ihr herum und ihr fällt auf, wie leicht er im Vergleich zu ihrem Ehemann ist. Ozon besitzt eine Beobachtungsgabe, die dort zu beginnen scheint, wo viele nicht mehr hinsehen können. In seinem Schaffen hat er nicht nur die dunklen Seiten des Daseins erkundet, sondern hat auch Komödie, wie Potiche oder gar Musicals wie 8 Femmes gedreht. Damit beweist er eine Vielseitigkeit, wie nur wenige Filmemacher sie zu besitzen scheinen.



Trotz der Geradlinigkeit des Filmes erlaubt er sich von Zeit zu Zeit spielerische Kunstgriffe. Zu Beginn des Films fährt der Ehemann, herrlich mehrdeutig gespielt von Bruno Crémer, mit seiner Hand über die Rinde eines Baumes. Die Schärfe bleibt dort für einige Sekunden auf der Rinde. Man könnte diese Einstellung als Betonung der Natur und des Lebendigen lesen. Ein unbeweglicher und alter Teil dieser Erde. Vielleicht ist es aber auch nur die Kruste einer Wahrnehmung, die zu brechen droht? Dann ertönt wieder die Musik von Philippe Rombi oder Portishead und man folgt dieser verlorenen Frau, man möchte eigentlich immer dieser Frau folgen, weil man sie so gerne verstehen würde und gleichzeitig-genau wie sie-gerne die Wahrheit wissen wollen würde oder eben lieber gar nicht wissen wollen würde. Dieses Jahr war mit Take Shelter von Jeff Nichols ein weiterer Film im Kino zu sehen, der sich mit Ängsten, Paranoia und dem Zweifel an der Realität auseinandersetzte. Wirkten die Schlussbilder in Take Shelter und Shutter Island wie ein Anhängsel, um den Zuseher zu irritieren, so ist das Schlussbild von Sous le sable von einer Poesie, die dem Kern des Realitätsverlusts deutlich näher zu kommen scheint. Denn Ozon wagt hier auch eine Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Erinnerns und der Macht von Bildern. Und es gelingt ihm tatsächlich dieses etwa in Kunstfilmen von Alain Resnais oder Chris Marker behandelte Thema, in eine für ein Massenpublikum taugliche Form zu bringen. Ein Film, der einen fesselt+ und nach dem Abspann gefesselt auf einem Stuhl sitzend zurücklässt.


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