Dienstag, 17. Juli 2012

Le boucher von Claude Chabrol


In einem Freiluftkino „Le boucher“ von Claude Chabrol gesehen. Chabrol zeichnet das Bild einer Frau, die von einem Mann umgarnt wird. Sie spielt mit ihm. Oder spielt er mit ihr, denn als eine Serie von Morden die französische Kleinstadt in Atem hält, gibt es für die Frau-und den Zuseher-plötzlich handfeste Beweise, dass der Mann, der sein Geld als Metzger verdient, (u.a. deshalb der Titel) der Mörder ist.



Das klingt sehr nach Hitchcock und Hitchcock ist es ja bekanntermaßen vor dem sich Chabrol in fast jeder Einstellung zu verneigen scheint. Dennoch bewahrt er sich eine eigene Sprache, einen eigenen Rhythmus. Zu Beginn des Films ist eine Hochzeit in vollem Gange. Sitzt man in einem Freiluftkino, in dem die Grillen zirpen und einem ein leiser Wind um die Nase weht, hat man fast das Gefühl selbst auf dieser Hochzeit zu sein. Chabrol lässt hier vieles geschehen ohne es groß zu werten. Er beobachtet eine Gesellschaft, die freundlich ist, die fehlerbehaftet ist: Ein typisches Dorf und ein fröhliches Fest. Im Zentrum seiner Geschichte stehen die Frau, gespielt von der Muse Chabrols Stéphane Audran, in ihrer vielleicht eindrucksvollsten Rolle, weil sie einen Balanceakt aus Verletzlichkeit und Charme, aus Hingabe und Distanzierung vollzieht,, und der Metzger, Le Boucher eben, ein auf eine merkwürdige Art sympathischer Mann, der Humor hat und immerzu vom Krieg erzählt und wie schlecht es ihm doch ergangen ist, gespielt von Jean Yanne.

Die ersten 20 Minuten sind die besten des Filmes; erst die Eröffnung, die sich aufgrund ihrer Etablierung einer Gesellschaft und Beschränkung auf das Beobachten mit der Hochzeitssequenz aus „The Godfather“ von Francis Ford Coppola oder der Hochzeitssequenz in „The Deer Hunter“ von Michael Cimino vergleichen lässt. Vielleicht mag ihr das epische Feeling fehlen, das die beiden genannten Filme ausmacht, aber sie hat denselben Zweck und lässt einen zu einem Teil des Dorfes werden; Freiluftkino ist auch immer noch ein soziales Erlebnis. Man sitzt zusammen, wie die Besucher einer Hochzeit, immer wieder zünden sich Zuseher eine Zigarette an. Kino-Feeling. Am nächsten Morgen begleitet der Metzger die junge Frau-sie ist Grundschullehrerin-direkt in die Schule. In einer wundervollen Plansequenz gehen sie durch den Ort. Die Farben der Häuser, die Blicke der Bewohner. Der friedlichste Augenblick des Films, ein Moment mit dem man sich verliebt. Chabrol hat Mut zur Farbigkeit. Gelb, Braun, Orange, Grün, Rot. Ähnlich wie in Agnès Vardas „Le bonheur“ ist die Natur hier kräftig und stark. Und trotzdem ist dieser Frieden tückisch.



Steht die Dauer der Plansequenz, das bloße Beschränken auf die Mise-en-scène noch für den Frieden, lässt Chabrol in einer späteren Sequenz die Montage sprechen; Kinder spielen im Pausenhof, aber die Musik verkündet Unheil. Plötzlich SCHNITT. Ein paar Polizisten sind zu sehen…SCHNITT die Kinder spielen in Frieden. SCHNITT zu den Polizisten, ein Mord ist Geschehen. Jeder Schnitt trifft hier auf den Frieden der Kleinstadt wie ein Messerstich. Und dann bringt Chabrol Mise-en-scène und Montage zusammen, die Polizisten gehen, von den Kindern unbemerkt, im Hintergrund am Pausenhof vorbei; ein Kind erzählt der Lehrerin vom Mord. Der Frieden ist vorbei.

Chabrol begeht einen Fehler. Er beginnt den Film nicht lediglich als Charakterportrait, sondern auch als Portrait seiner Gesellschaft. Doch die Gesellschaft interessiert ihn in der Mitte des Filmes nicht mehr. Sie scheint kaum mehr zu existieren. So macht es den Kindern scheinbar nichts aus, dass sie einen Tag zuvor eine blutige Leiche gesehen haben; mehr noch werden Kinder nachts unbeaufsichtigt durch den Wald geschickt. Dies ist nicht etwa einer gezeigten Unaufmerksamkeit der Eltern geschuldet, sondern es scheint Chabrol einfach nicht mehr zu interessieren. Er verfängt sich in dem für ihn bedeutenderen Thema: Die Liebe unter Verdacht. Visuell findet er immer die richtigen Bilder. Dabei scheint er mühelos zwischen ruhiger Charakterbeobachtung und stilisierten Thriller-Bildern wechseln zu können. Nicht immer besteht der Film den Test der Zeit, aber zumeist.

Nouvelle-Vague Filme und Freiluftkino passt zusammen. Man spürt die Energie und Kraft der Filme. Eine alte Frau kommt in den Metzgerladen und bestellt etwas, sie weiß noch nicht so genau, was sie denn gerne möchte. Das ganze Kino lacht; es liegt an der Direktheit und Ehrlichkeit dieser Frau, die offensichtlich keine Schauspielerin ist, an der Direktheit und Offenheit des Films, der ein Klassiker ist, aber trotzdem charmant ist; der ehrlich daherkommt und dem man deshalb am liebsten alle Schwächen verzeihen möchte. Man möchte Stunden danach über diesen Film reden, über ein Kino, das man ernst nehmen kann.




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